Nachtschwarze Küsse - Scent of Darkness (Darkness Chosen 01)
Wald hetzte. Pfeilschnell und kraftvoll.
Leader hasste ihn, denn das junge Weibchen mit dem weichen braunen Fell beobachtete Stranger mit feucht schimmernden Augen. Sie würde demnächst läufig werden und deutete damit an, dass sie es auf eine Paarung mit Stranger abgesehen hatte.
Stranger dagegen beachtete das junge Weibchen nicht weiter. Er rannte mit der Meute, den Blick starr nach vorn gerichtet, forderte er Leaders Autorität nie heraus.
Wenn er es darauf angelegt hätte, wäre es ihm jedoch ein Leichtes gewesen, den Leitwolf zu provozieren.
Leader wusste darum, und während er weiterhetzte, konzentrierte er sich auf Stranger, auf seine Bewegungen, seinen leise hechelnden Atem und die dynamischen Sätze, unter denen das Felsgeröll zerstob.
Seine Witterung signalisierte ihm, dass etwas nicht stimmte mit diesem Männchen. Ihm schwante … Schlimmes.
Das war der eigentliche Grund, weshalb Leader Stranger nicht provozierte. Nicht, weil Stranger unweigerlich siegen würde, sondern weil seinem Fell ein scheußlicher Geruch anhaftete, stechender als der Gestank toten, verwesenden Fleisches. Irgendetwas Unheilvolles. Verderbtheit, Ausgegrenztsein … Hoffnungslosigkeit.
Ein Fluch. Oder vielleicht ein Pakt mit dem lauernden Schatten, den Leaders Witterung nicht wahrnahm …
Während Stranger weiterlief, verfolgten ihn Unmut und bitterer Zorn.
Das Unwetter ließ nicht mehr lange auf sich warten. Es blitzte und donnerte apokalyptisch.
Leader fürchtete den Wetterumschwung, denn dieses Mal war es mit Sturm und Regen nicht getan. Leader fühlte ein Feuer, das in der Erde brodelte, als drohte ein lodernder Flächenbrand alles zu vernichten, woran sein Herz hing.
Stranger trug den Sturm in seinem Fell, in seinem Herzen. Die Markierung auf seinem Vorderlauf hüpfte und zuckte, und seine Augen glühten im diffusen Zwielicht des Waldes.
Und deshalb achtete Leader nicht auf die Witterung des Menschen und vergaß zu handeln.
Dann war es zu spät. Ein Mensch trat hinter einem Baum hervor und zielte.
Leader sah ihn, stürzte sich schützend auf sein Weibchen, als die tödliche Salve durch das Unterholz krachte. Wie von unsichtbarer Hand gelenkt, sauste Leader durch die Luft. Landete schwer auf den Pfoten, bereit zum Angriff. Gespalten zwischen Fluchtinstinkt und Furcht.
Stranger jedoch hielt auf den Mann zu.
Der Mann zielte erneut.
Stranger setzte zum Sprung an, und während er sprang, verwandelte er sich.
Das dichte Fell schrumpfte und wich Haut. Sein Körper wuchs. Seine Vorderläufe wurden Arme. Sein Kopf veränderte die Form. Nahm erschreckend menschliche Züge an. Ein Mensch.
Ein starker Windstoß bog die Stämme der Bäume, knickte sie, als wären es Zündhölzer.
Der Angreifer schrie. Schwang die Flinte wie eine Eisenstange über seinem Kopf und teilte panisch aus.
Er erwischte Stranger von der Seite. Der rollte in den Schmutz. Die Eisenstange blitzte und klirrte. Zweige brachen, Blätter und Nadeln rieselten wie Schneeflocken zu Boden.
Stranger kam auf die Füße, schnappte nach dem Gewehr. Schwang es im Kreis. Schmetterte den Kolben gegen einen Felsen. Gesteinsbrocken, Moose und Flechten flogen durch die Luft. Die Waffe zerbrach in zwei Stücke.
Der Angreifer sprang auf und floh.
Stranger straffte sich, fixierte Leader und sagte etwas. Leader konnte die Sprache der Menschen zwar nicht verstehen, aber er verstand diesen Mann. Und er erkannte ihn wieder - er war nackt, mit dunklen Haaren und dunklen Brauen, dunkle, lange gebogene Wimpern umrahmten die ihm vertrauten topasschimmernden Augen. Die Tätowierung, die von seiner Schulter bis zu seinem Handgelenk ging, entsprach der Markierung auf Strangers Fell.
»Bist du okay?«, wollte Stranger wissen.
Leader blickte an sich hinunter. Blut tropfte aus seinem Fell. Es schmerzte höllisch. Sein Alpha-Weibchen leckte ihm die Wunden, und er wusste, er würde überleben.
Er senkte den Kopf.
»Er wird dich nie wieder angreifen.« Stranger verwandelte sich von Neuem. Und dieses Mal langsamer, als kostete es ihn große Mühe. Nach seiner Transformation war er wieder ein Wolf. Ein mutierter Wolf. Ein verdammter Wolf. Aber immerhin ein Wolf.
So hetzte er hinter dem Menschen her.
Leader führte sein Rudel tief in den Wald, wo sie sich versteckten. Vor den Menschen, vor Stranger und vor dem Geruch, den Leader mit einem Mal erkannte.
Es war der Odem der Verdammnis.
Das Unwetter brach über ihr herein. Und Ann war praktisch in Jashas Haus eingebrochen.
Das
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