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Nachtstürme - Peeler, N: Nachtstürme - Tempest Rising

Titel: Nachtstürme - Peeler, N: Nachtstürme - Tempest Rising Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Peeler
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auf mich, und es war, als lege sich seine Hand um meine Kehle. Ich schnappte nach Luft, rang nach Atem, bis seine leblosen Augen wieder von mir abließen. Ryu legte seine Hand beruhigend an meinen Rücken, wie um mich an seine Nähe zu erinnern.
    Da entdeckte ich das Bündel. Als die Nagas an uns vorbeigingen, sah ich, dass Jimmu einen großen Leinensack, der über und über mit roten Schlieren bedeckt war, über der Schulter trug. Bei seinem Anblick erschauderte ich. Mein Gehirn brauchte einen Moment, um zu akzeptieren, was ich gerade instinktiv wahrgenommen hatte.
    Zu diesem Zeitpunkt hatten Jimmu und seine Geschwister bereits das erste Podest erreicht. In einer geschmeidigen Bewegung erklommen sie es, nahmen eine fächerartige Formation ein und fielen mit geneigten Köpfen auf die Knie. Jarl sah sie mit unverkennbarem Stolz an und erwiderte ihre Ehrerbietung mit einem Kopfnicken.
    »Ich erwarte euren Bericht«, ertönte seine Stimme.
    Jimmu erhob sich. »Der Gerechtigkeit ist Genüge getan«, sagte er, wobei seine Schlangenzunge zwischen seinen Lippen
tanzte. Ich hatte ihn noch nie zuvor sprechen gehört, und seine Stimme war wie seine Augen - kalt und tot.
    Ich legte meine Hand vorsorglich auf meinen Magen, als ich Jimmu dabei beobachtete, wie er das Bündel vom Rücken schwang. Ich konnte mir ziemlich gut vorstellen, was sich darin verbarg, und mein erklärtes Ziel war, nicht quer über den Tisch zu kotzen.
    »Der Mörder ist gefasst«, fuhr Jimmu fort und zog ein zusammengerolltes Stück Papier aus der Brusttasche seiner Lederjacke. »Er hat ein Geständnis abgelegt.« Er übergab Jarl das Dokument, doch der gab es ohne einen Blick darauf sogleich an Orin und Morrigan weiter. Die beiden lasen es schweigend und nickten, als sie die Lektüre beendet hatten.
    »Und ihr seid aktiv geworden?«, fragte Orin nüchtern.
    »Natürlich, mein König«, erwiderte Jimmu und begann, den Leinensack zu öffnen.
    Ich machte mich auf das Schlimmste gefasst, als der Naga seine blutige Last auspackte. Es kam mir so vor, als dauere das alles eine halbe Ewigkeit; die Zeit schien plötzlich langsamer zu vergehen, wie sie das eben zu tun pflegt, wenn man gerade etwas erlebt, was einen für immer verändern wird. Ich werde nie das Geräusch der nackten, blutverkrusteten Gliedmaßen vergessen, als sie auf den hölzernen Podestboden fielen. Erst wurde ein Arm sichtbar, dann ein Stück des Torsos, gefolgt von den restlichen Teilen, die einen menschlichen Körper ausmachen, die mit einer betäubenden Abfolge von knirschenden und schmatzenden Geräuschen aus dem Sack glitten. Ich schmeckte bittere Galle und sah mich hastig um. Aber anstatt in entsetzte oder mitleidige Gesichter zu blicken, schien sich, abgesehen von Ryu, niemand besonders
an dem Geschehen zu stören. Denn Ryu wusste genauso gut wie ich, dass, wer auch immer sich in dem Sack befand, nicht der Mörder war, sondern nur irgendein unschuldiges Opfer im tödlichen Spiel der Nagas.
    Als Jimmu sich dann hinunterbeugte, um den Kopf an den Haaren hochzuhalten und ihn dem Saal zu präsentieren, schrumpfte die Welt um mich herum zusammen, und alles fing an zu beben. Die Augen des Toten waren nach hinten verdreht, und ich erkannte, dass er einen Bart hatte. Er war akkurat gestutzt. Und dieser Bart war es, der mich zutiefst schockierte. Es war nicht etwa so, dass ich den Toten erkannte; er war ein Fremder. Aber diesen fein säuberlich gestutzten Bart zu sehen - praktisch das Symbol der alltäglichen Existenz dieses Mannes -, führte mir mehr als deutlich sein Menschsein und seine Verletzlichkeit vor Augen. Ich fuhr hoch und krallte mich am Tisch fest, weil ich spürte, wie ich fast ohnmächtig wurde. Aus weiter Ferne vernahm ich eine Stimme, die ein gequältes »Neeein!« ausstieß. »Das ist alles nicht wahr!«, fuhr die Stimme voller Panik fort. »Wie laut sie spricht«, dachte ich, und mein Magen wogte munter weiter vor sich hin. »Und so nah. Sehr, sehr nah, um genau zu sein.«
    Erst da realisierte ich, dass es meine eigene Stimme war.
    Und die Augen aller Versammelten am Hof der Alfar waren auf mich gerichtet.
    »Ich hätte doch ein Höschen anziehen sollen«, dachte ich, als mein Gehirn langsam die Folgen dessen realisierte, was mein Mund gerade getan hatte. Denn nun würde ich sterben.

KAPITEL 23

    A ller Augen waren noch immer auf mich gerichtet: manche von ihnen neugierig, manche völlig schockiert. Ryus Gesichtsausdruck zeugte von letzterem Gemütszustand - er starrte mich an,

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