Nachtwelt
schaut er seine Frau an. In diesem
Moment verstehen die Beiden etwas, was Mimi verborgen bleibt. Noch bevor sie fragen
kann, was los ist, sind ihre Gastgeber mit den Tellern und der Salatschüssel im
Haus verschwunden. Mimi versteht nicht, was hier passiert. Was sie versteht
ist, dass sie nach dem Nachtisch zu gehen hat.
Alle Drei löffeln lustlos ihr Dessert. Die gute
Stimmung ist dahin. Aus irgendeinem Grund sogar angespannt. Michi und Andy schauen
sich mehrfach an. Andy schüttelt ein paar Mal leicht den Kopf.
„Ja, ich geh’ dann mal. Tausend Dank für das gute
Essen.“
Kaum hat sie den Satz beendet, sind Michi und Andy bereits
aufgesprungen, um sie zu verabschieden. Als Mimi um die Hausecke biegt hört
sie, wie Andy sagt: „Du weißt, dass wir vorsichtig sein müssen. Wir dürfen
nichts sagen. Sie muss es allein hinkriegen.“
Mimi ist total verwirrt und ihre Traurigkeit kommt
zurück. Mit dem Aufwachen am heutigen Morgen scheint sich etwas verändert zu
haben. Ihre Lieblingsnachbarn sprechen in Rätseln, zeitliche Abläufe passen
nicht mehr zusammen. Traum und Wirklichkeit scheinen miteinander zu
verschwimmen. Je mehr sie über all das nachdenkt, desto weniger ergibt es einen
Sinn.
Schnell bürstet sie ihr Haar und cremt sich das
Gesicht ein. Im Rausgehen greift sie nach ihrer Jacke und den Autoschlüsseln.
Mimis gute Laune von heute Morgen ist weg. Sie muss
mit Petra über die Merkwürdigkeiten dieses Tages sprechen. Petra würde sie nie
auslachen und hat bestimmt eine plausible Erklärung für die Geschehnisse.
Petras Haus liegt mitten in der Stadt. Von dort hat
sie es nicht weit bis zu ihrer Arbeit.
Als Mimi die Tür zu Petras Puppenstube, jede von ihnen
hat einen Hausschlüssel der anderen, aufschließt, wird sie zuerst von Tequila
begrüßt. Wie eine Keramikfigur sitzt Petras Katze bewegungslos auf der Treppe.
Mimi nimmt sie auf den Arm und es ist, als würde sie einen riesigen Wattebausch
halten. So weich und plüschig ist das Fell der Katze.
„Na, alles klar?“, fragt Mimi und drückt Tequila einen
dicken Kuss zwischen ihre Ohren. Die stemmt sich mit den Vorderpfoten gegen Mimis
Brust, um sich ein wenig weg zu schieben. Einen Moment starrt Tequila Mimi aus
ihren großen Murmelaugen an, dann entspannt sie sich und fängt an zu schnurren.
Durch die Küche geht Mimi nach hinten in den Garten.
Petra, die dort die Sonne genießt, bekommt auch einen dicken Kuss.
„Hallo meine Süße.“
„He, Mimi. Hast du gut geschlafen und etwas Schönes
geträumt?“
Bestimmt ist die Frage nett gemeint, aber Mimis Ton
ist scharf und sie ist genervt als sie sagt: „Seid ihr heute alle irre? Warum
will jeder wissen wie ich geschlafen habe oder ob ich schöne Träume hatte. Habt
ihr keine anderen Probleme!“
Beschwichtigend hebt Petra die Hand: „Tut mir leid.“
Mimi entschuldigt sich weder für ihren Ton, noch für
ihre blöde Antwort. Es nervt und verwirrt sie, dass jeder, den sie in ihrem
Traum gesehen hat wissen will, wie ihre letzte Nacht war. Als wären alle
zusammen auf einer Party gewesen und jetzt will jeder von ihr wissen, wie sie
es fand.
Sie hat keine Lust mehr, Petra von ihrem Traum zu
erzählen. Irgendwie fühlt sie sich von ihr verraten. So etwas gab es zwischen
den beiden noch nie. Als Mimi Petra vor einer gefühlten Ewigkeit kennen lernte
arbeiteten beide in einem Ärztehaus.
Sie trafen sich zum Rauchen auf dem Parkplatz und
verstanden einander von Anfang an super gut. Dann kam Mimis schwerste und
dunkelste Zeit. Es gab Tage, an denen sie glaubte, dass es für sie unmöglich
sei am Leben zu bleiben. Während dieser Zeit trat Petra, leise und schweigend,
an ihre Seite. Sie konnte Mimis tiefe Traurigkeit aushalten, war geduldig und
forderte nichts.
In den schlechtesten Zeiten wird wahre Freundschaft
geboren.
Auch Petra musste schlechte Zeiten kennen lernen. Mimi
versuchte zurück zu geben was sie von ihrer Freundin bekommen hatte. Petra war
so verzweifelt und leer, dass Mimi Angst hatte, sie könnte sie verlieren. Genau
wie Petra vor ihr, konnte Mimi nichts tun, außer da sein und warten. Warten auf
ein Lachen. Nicht Jenes, dass Mimi und Petra sich für die Leute angewöhnt
hatten, damit niemand merkt, wie schlecht es ihnen geht. Nein, sie wartete auf
das wahre Lachen, das, das die Augen strahlen lässt. Und irgendwann war es da.
Noch nicht perfekt, aber von diesem Tag an wusste Mimi: Alles wird gut.
Petra sitzt Mimi gegenüber und guckt Tequila zu,
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