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Nachtwesen - Die Vollstreckerin

Nachtwesen - Die Vollstreckerin

Titel: Nachtwesen - Die Vollstreckerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Pagel
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erschien ihr angefüllt mit Leuten. Kaum dass sie ihren Fuß über die Schwelle gesetzt hatte, verstummten die Gespräche und man wandte sich ihr erwartungsvoll zu.
    Soviel Aufmerksamkeit war Kyrana unangenehm, weshalb sie ihre Finger fester in den Stoff ihres Umhanges grub und sich hilfesuchend nach Merian umsah. Er nickte ihr zu, verharrte jedoch unverändert neben der Tür – lässig dagegen gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt und ganz so, als genieße er ihre Unsicherheit. „Die Götter mit Euch.“ Der Gruß fand nur zögerlich über ihre Lippen und doch schien ihn ein Jeder hier sehr gut verstanden zu haben.
    Leises Gelächter kam auf - und verebbte sogleich wieder. Verlegen trat sie einen weiteren Schritt in den Raum hinein und ließ suchend ihre roten Augen über unbekannte Gesichter wandern. Wo war bloß Kelmar? Er würde sie doch nicht alleine lassen, nicht in diesem so wichtigen Moment...
    „Hexe...“ Das geraunte Wort direkt an ihrem Ohr ließ sie zusammenzucken und herumwirbeln. Da war er, stand vor ihr und lächelte sie an. Kelmar. Plötzlich schienen ihr all diese Leute unwichtig, beinahe so, als wären sie gar nicht mehr vorhanden. Nur noch er und sie. Ganz von selbst wanderte ihre Hand zwischen seine kühlen Finger, als er sie ergriff und sanft drückte.
    Er hatte sich nicht verändert, sondern sah immer noch genauso atemberaubend aus, wie sie ihn in Erinnerung behalten hatte. Seine blauen Augen funkelten schalkhaft, als er es leise wiederholte: „Hexe...“ Das Blut stieg ihr in die Wangen, denn ihr wurde schlagartig bewusst, was er meinte. Er wusste um ihre verbotenen Magieversuche. Verlegenheit und Schuldbewusstsein ließen sie schlucken, doch ehe sie ansetzen konnte, sich zu rechtfertigen, verschloss sein Zeigefinger zart ihre Lippen und er schüttelte sachte den Kopf.
    Dann ergriff er sie an den Schultern und drehte sie wieder dem Raum und seinen Besuchern zu. Dicht hinter ihr stehend, sprach er in die erwartungsvolle Stille hinein:
    „Kyrana PeTan, Tochter der Menschen Jara und Vedyn. Gekommen, um in der heutigen Nacht eine der Unseren zu werden, unsere Traditionen weiterzuführen und unsere Geheimnisse zu wahren. Sie wird neu geschaffen werden in das Haus Yiory, Zweites von fünf Häusern. Von meinem Bruder Merian.“ Zustimmendes Raunen kam auf, während Kyrana den Worten nach lauschte. Sie verstand nur die Hälfte und war immer noch mit Grübeln beschäftigt, als sich Kelmars Hände von ihren Schultern lösten und er sich langsam zu den Anderen gesellte.
    Leiser Protest regte sich in ihr, denn plötzlich fühlte sie sich wieder alleine, ganz so, als wäre er fortgegangen, anstatt sich nur ein paar Schritte von ihr zu entfernen. Sie war schon im Begriffe, ihm einfach zu folgen, als Merians fester Griff an ihrem Arm sie aufhielt. „Komm.“ Ohne auf eine Reaktion ihrerseits zu warten, führte er sie aus dem Zimmer in die Halle hinaus und schloss sachte die Tür.
    „Es wird schnell vorbei sein.“ Zum ersten Male, seit sie ihn kannte, schien er sie wirklich anzuschauen, aufmerksam, als nehme er sie erstmals bewusst wahr. Wieder erschien ein schmales Lächeln auf seinen Lippen und erreichte sogar seine schwarzen Augen. Dann ergriff er ihre Hand mit erstaunlicher Zartheit, um sie mit sich zu nehmen.
    *
    In all den vergangenen Jahren hatte sie sich nie Gedanken darüber gemacht, wie es wohl vonstattengehen würde, wenn sie einst 'Eine der Ihren' werden würde. Nachdem Kelmar ihr damals von ihrer Bestimmung erzählt hatte, war sie in den Bibliotheken Nocryas auf die Suche nach Erklärungen gegangen. Doch es fanden sich keinerlei Aufzeichnungen oder Überlieferungen über ein Ritual, mittels dessen man zum Dasein eines Nachtwesens gelangen könnte.
    Irgendwann hatte sie die Suche aufgegeben, denn sie vertraute Kelmar bedingungslos; er würde wissen, was zu tun war. Umso verwirrter war sie nun, als sie sich an Merians Hand wiederfand, um von ihm bei jener mysteriösen Wandlung begleitet zu werden. „Aber...,“ ihr Versuch eines Protestes verklang ungehört oder unkommentiert... Stattdessen drängte er sie mit sanfter Bestimmtheit durch eine weitere Tür der Eingangshalle. Angst überkam sie, als sie erkannte, dass es sich um ein Schlafgemach handelte.
    „Nein, nein, ich habe es mir anders überlegt!“ Ihre Stimme zitterte und nahm einen schrillen Klang an. Sie war unberührt und unschuldig; noch niemals hatte ein Bursche sie unbekleidet gesehen, geschweige denn, sie angefasst.

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