Nachtwesen - Die Vollstreckerin
und schüttelte den Kopf. „Ich erwarte Besuch“, antwortete sie bemüht harmlos und gelassen, obwohl sie bereits wusste, dass Merian ihr die aufgesetzte Ruhe nicht glauben würde. „Besuch, so?“ Seine Augen nahmen eine Spur von Neugier an, denn sie hatte selten Gäste. Schon gar keine, für welche solch ein Aufwand betrieben wurde. Wieder schaute er umher und ließ den Blick auf ihr enden. „Ein heimlicher Verehrer?“ Er trat näher und lächelte sie an. „Hoffentlich ist er die Mühen wert.“
Kyrana versuchte gar nicht erst zu leugnen. Sie wusste, dass Merian sie sowieso durchschauen würde. Daher beeilte sie sich, sein Lächeln zu erwidern und zu nicken. „Ich bin schrecklich aufger egt“, gestand sie dann leise – und das entsprach durchaus der Wahrheit. Auch wenn sie ihm auf gar keinen Fall sagen würde, wen sie erwartete, so war er doch genau der Richtige, sie in ihrer Nervosität zu beruhigen.
Merian überbrückte den Weg zum Fenster mit wenigen Schritten und ergriff sanft ihre Hand, um sie zu tätscheln. „Ich weiß zwar nicht, um wen es sich handelt – doch er müsste blind sein, wenn er nicht erkennen würde, wie wertvoll du bist“, sprach er ehrlich. „Ich wünsche dir eine vergnügliche Nacht.“ Mit diesen Worten entließ er ihre Hand zurück in ihren Schoß und wandte sich um, das Zimmer wieder zu verlassen. Sein Anliegen hatte Zeit bis zum nächsten Tag.
„Danke!“ Kyrana sah ihm nach, bis sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte. Dann rückte sie sich in ihrem Sessel zurecht, strich zum wiederholten Male die Robe glatt und wartete auf das Klopfen, welches Kelmars Ankunft ankündigen würde.
*
Vorwitzige Spuren von erstem Sonnenlicht wagten sich durch das Fenster und kündigten einen neuen Tag an. Die Kerzen waren bis zur Neige herunter gebrannt und im Kamin zeugte lediglich noch ein Häufchen Asche von dem Feuer der vergangenen Nacht.
Kyrana saß unverändert in ihrem Sessel, starr den Blick gen Tür gerichtet, die Finger in die dünnen Polster der Lehnen gegraben. Er war nicht gekommen...Er war nicht gekommen! Nicht einmal eine Nachricht hatte sie erreicht, dass Kelmar verhindert wäre. Dass ihr Gespräch auf einen anderen Zeitpunkt verschoben sei.
Nichts – einfach gar nichts. Sie war ihm nicht einmal eine Absage wert gewesen. Diese bittere Erkenntnis veranlasste sie schließlich, ihre schwer gewordenen Glieder zu strecken und sich zu erheben. Mechanisch schloss sie die Vorhänge an den Fenstern und stand kurz darauf mitten im Raum. Das Zimmer kam ihr plötzlich riesig vor, kalt und unpersönlich. Er war nicht gekommen und sie fühlte sich unendlich betrogen und einsam.
Wie sollte sie Kelmar je wieder in die Augen sehen? Oder er ihr? Diese Nacht des Wartens hatte alles verändert. In ihr war nur noch Leere. Keine Traurigkeit und keine Wut. Nur Leere. Ohne ihr Bild im Spiegel auch nur eines Blickes zu würdigen, trat sie davor und löste den Gürtel, zog die weiße Robe aus und ließ beides achtlos zu Boden fallen. Dann griff sie ein Nachtkleid und warf es sich über. Müdigkeit strömte auf sie ein, als hätte das lange Sitzen und Warten sie vollends zermürbt.
Er war nicht gekommen. Na und? Sie war Kummer gewöhnt. Und Einsamkeit. Ablehnung. Was hatte sie erwartet? Dass das Schicksal es einmal gut mit ihr meinen würde? Ihre blanken Füße nahmen ganz von selbst den Weg hinüber zum Bett auf, wo sie mit einem Schwung die peinlich glattgestrichene Decke beiseite fegte. Dann verkroch sie sich unter der Decke und zog sich jene bis weit über den Kopf hinauf.
Kapitel 13
Den ganzen Tag, die folgende Nacht und den kommenden Tag verbrachte Kyrana in ihrem Bett. Ein tiefer, traumloser Schlaf hielt sie gnädig umfangen und bewahrte sie vor fruchtlosen Grübeleien. Jahre der unerfüllten Liebe und das unnötige Warten auf Kelmar schienen auf diese Weise ihren Tribut zu fordern. Erst ein dringliches Klopfen an der Tür ließ sie am darauffolgenden Abend aufschrecken. Abrupt setzte sie sich auf und zog die Decke bis zum Kinn hinauf. „Wer da?“, kam es kurz und hart über ihre Lippen. Vielleicht...
Doch alle aufkeimende Hoffnung wurde mit Merians Eintreten zunichte gemacht. Fragend starrte sie ihm entgegen, als er zügig herein kam und sich lediglich einen kurzen Rundum-Blick durch das Zimmer gestattete. Dann trat er mit wenigen Schritten an das Bett heran und sah auf sie nieder. „Kelmar und Niobe sind verschwunden.“ Kyrana horchte auf. Und ihr Blick wurde düster. So war
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