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Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition)

Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition)

Titel: Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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hysterischer Eleganz füllte den Wagen, und als sich jemand mit offenem Mantel über ihn beugte, um sein Gepäck auf die Ablage zu tun, wurde ihm die Brille heruntergerissen. Da tat Gregorius etwas, das er von sich aus noch nie getan hatte: Er nahm seine Sachen und wechselte in die erste Klasse.
    Die wenigen Gelegenheiten, bei denen er bisher erster Klasse gefahren war, lagen zwanzig Jahre zurück. Es war Florence gewesen, die damals darauf gedrängt hatte, er hatte sich gefügt und sich mit einem Gefühl der Hochstapelei auf das teure Polster gesetzt. Findest du mich einen Langweiler?, hatte er sie nach einer dieser Fahrten gefragt. Wie? Aber Mundus, so etwas kannst du mich doch nicht fragen!, hatte sie gesagt und war sich mit der Hand auf eine Art durchs Haar gefahren, wie sie es stets tat, wenn sie nicht weiterwußte. Als Gregorius jetzt, während der Zug sich in Bewegung setzte, mit beiden Händen über das vornehme Polster strich, kam ihm sein Tun wie eine verspätete, kindische Rache an ihr vor, deren Sinn er nicht so recht verstand. Er war froh, daß niemand in der Nähe saß, der ihm die unverstandene Empfindung hätte ansehen können.
    Er erschrak über die Höhe des Zuschlags, den er dem Schaffner zu zahlen hatte, und als der Mann gegangen war, zählte er zweimal sein Geld. Er sagte sich die Geheimzahl seiner Kreditkarte vor und schrieb sie ins Notizbuch. Kurze Zeit später riß er die Seite heraus und warf sie weg. Bei Genf hatte es aufgehört zu schneien, und jetzt sah er seit Wochen zum erstenmal wieder die Sonne. Sie wärmte ihm hinter der Scheibe das Gesicht, und er wurde ruhiger. Er hatte immer viel zuviel Geld auf seinem Girokonto, das wußte er doch. Was machen Sie denn bloß?, sagte die Bankangestellte, wenn sie wieder einmal sah, was sich angesammelt hatte, weil er so wenig abhob. Sie müssen doch etwas mit Ihrem Geld machen ! Sie legte es für ihn an, und so war er über die Jahre zu einem wohlhabenden Mann geworden, der von seinem Wohlstand nichts zu wissen schien.
    Gregorius dachte an seine beiden Lateinbücher, die er gestern zu dieser Stunde auf dem Pult zurückgelassen hatte. Anneli Weiss stand vorne drin, geschrieben mit Tinte in einer kindlichen Handschrift. Für neue Bücher hatte zu Hause das Geld gefehlt, und so hatte er die Stadt abgesucht, bis er in einem Antiquariat gebrauchte Exemplare fand. Als er seinen Fund vorzeigte, hatte sich der Adamsapfel des Vaters heftig bewegt, er bewegte sich stets heftig, wenn dem Vater etwas auf der Seele lag. Zuerst hatte ihn der fremde Name in den Büchern gestört. Doch dann hatte er sich die frühere Besitzerin als Mädchen mit weißen Kniestrümpfen und wehenden Haaren vorgestellt, und bald schon hätte er die gebrauchten Bücher um keinen Preis mehr gegen neue eintauschen mögen. Trotzdem hatte er es dann genossen, als er mit dem Geld, das er als Unterrichtsvertreter zu verdienen begann, die alten Texte in schönen, teuren Ausgaben kaufen konnte. Das war jetzt mehr als dreißig Jahre her, und ein bißchen unwirklich kam es ihm auch heute noch vor. Noch vor kurzem hatte er vor den Regalen gestanden und gedacht: Daß ich mir eine solche Bibliothek leisten kann!
    Langsam verformten sich die Erinnerungsbilder in Gregorius zu Traumbildern, in denen das schmale Buch, in dem die Mutter aufschrieb, was sie durch Putzen verdiente, stets von neuem auftauchte wie ein quälendes Irrlicht. Er war froh, als er durch das Geräusch eines zersplitternden Glases geweckt wurde, das jemandem vom Tisch gefallen war.
    Eine Stunde noch bis Paris. Gregorius setzte sich in den Speisewagen und blickte in einen hellen Vorfrühlingstag hinaus. Und da, auf einmal, wurde ihm klar, daß er diese Reise tatsächlich machte – daß sie nicht nur eine Möglichkeit war, etwas, das er sich in einer schlaflosen Nacht ausgedacht hatte und das hätte sein können, sondern etwas, das wirklich und wahrhaftig stattfand. Und je mehr Raum er dieser Empfindung gab, desto mehr schien es ihm, daß sich die Verhältnisse, was Möglichkeit und Wirklichkeit betraf, umzukehren begannen. War es nicht eigentlich so, daß Kägi, seine Schule und all die Schüler, die in seinem Notizbuch standen, zwar wirklich gewesen waren, aber doch nur als Möglichkeiten, die sich zufällig verwirklicht hatten, während das, was er in diesem Moment erlebte – das Gleiten und gedämpfte Donnern des Zuges, das leise Klirren der Gläser, die sich auf dem Nebentisch berührten, der Geruch nach ranzigem Öl, der aus

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