Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition)
nachmittag, die Leute machten ihre Besuche im Heim, man erkannte sie schon auf der Straße an den Blumensträußen, die sie bei sich trugen. Auf den schmalen Balkonen des Heims saßen die alten Leute in Decken an der Sonne, die immer wieder hinter Wolken verschwand. Gregorius ließ sich an der Pforte die Zimmernummer geben. Bevor er klopfte, atmete er ein paarmal langsam ein und aus, es war das zweite Mal an diesem Tag, daß er mit pochendem Herzen vor einer Tür stand, ohne zu wissen, was ihn erwartete.
Sein Klopfen blieb unbeantwortet, auch beim zweiten Mal. Er hatte sich schon zum Gehen gewandt, da hörte er, wie die Tür mit einem leisen Quietschen aufging. Er hatte einen Mann in vernachlässigter Kleidung erwartet, einen, der sich oft gar nicht mehr richtig anzog, sondern im Bademantel vor dem Schachbrett saß. Der Mann, der jetzt lautlos wie ein Geist im Türspalt erschien, war ganz anders. Er trug eine dunkelblaue Strickjacke über einem blütenweißen Hemd mit roter Krawatte, eine Hose mit tadelloser Bügelfalte und glänzende schwarze Schuhe. Die Hände hielt er in den Taschen der Jacke verborgen, der kahle Kopf mit dem wenigen, kurzgeschnittenen Haar über den abstehenden Ohren war leicht zur Seite gedreht wie bei einem, der sich mit dem, was ihm begegnet, nicht befassen mag. Aus grauen, zusammengekniffenen Augen kam ein Blick, der alles, was er traf, zu zerschneiden schien. João Eça war alt, und er mochte krank sein, wie seine Nichte gesagt hatte; ein gebrochener Mann war er nicht. Es war besser, dachte Gregorius unwillkürlich, ihn nicht zum Gegner zu haben.
»Senhor Eça?« sagte Gregorius. »Venho da parte de Mariana, a sua sobrinha. Trago este disco. Sonatas de Schubert.« Es waren Worte, die er auf dem Boot nachgeschlagen und sich dann mehrmals vorgesagt hatte.
Eça blieb reglos in der Tür stehen und sah ihn an. Einen solchen Blick hatte Gregorius noch nie aushalten müssen, und nach einer Weile sah er zu Boden. Jetzt zog Eça die Tür ganz auf und machte ihm ein Zeichen einzutreten. Gregorius betrat ein penibel aufgeräumtes Zimmer, in dem es das Nötigste gab und nur das Nötigste. Einen flüchtigen Augenblick lang dachte er an die luxuriösen Räume, in denen die Ärztin wohnte, und fragte sich, warum sie den Onkel nicht besser untergebracht hatte. Der Gedanke wurde weggewischt von Eças ersten Worten:
»Who are you?« Die Worte kamen leise und heiser, und doch besaßen sie Autorität, die Autorität eines Mannes, der alles gesehen hatte und dem man nichts vormachen konnte.
Gregorius, die Platte in der Hand, gab auf Englisch Auskunft über seine Herkunft und seinen Beruf und erklärte, wie er Mariana kennengelernt hatte.
»Warum sind Sie hier? Doch nicht wegen der Platte.«
Gregorius legte die Platte auf den Tisch und holte Atem. Dann zog er Prados Buch aus der Tasche und zeigte ihm das Portrait.
»Ihre Nichte meinte, Sie hätten ihn vielleicht gekannt.«
Nach einem kurzen Blick auf das Bild schloß Eça die Augen. Er schwankte ein bißchen, dann ging er, immer noch mit geschlossenen Augen, hinüber zum Sofa und setzte sich.
»Amadeu«, sagte er in die Stille hinein, und dann noch einmal: »Amadeu. O sacerdote ateu. Der gottlose Priester.«
Gregorius wartete. Ein falsches Wort, eine falsche Geste, und Eça würde kein Wort mehr sagen. Er ging hinüber zum Schachtisch und betrachtete die angefangene Partie. Er mußte es riskieren.
»Hastings 1922. Aljechin schlägt Bogoljubov«, sagte er.
Eça schlug die Augen auf und warf ihm einen erstaunten Blick zu.
»Tartakower wurde einmal gefragt, wen er für den größten Schachspieler halte. Er sagte: ›Wenn Schach ein Kampf ist – Lasker; wenn es eine Wissenschaft ist – Capablanca; wenn es eine Kunst ist – Aljechin.‹«
»Ja«, sagte Gregorius, »das Opfer der beiden Türme ist etwas, das die Phantasie eines Künstlers verrät.«
»Klingt nach Neid.«
»Ist es auch. Würde mir einfach nicht einfallen.«
Auf Eças wettergegerbten, bäurischen Zügen erschien der Anflug eines Lächelns.
»Wenn es Sie tröstet: mir auch nicht.«
Ihre Blicke kreuzten sich, dann sah jeder vor sich hin. Entweder Eça unternahm jetzt etwas, um das Gespräch fortzusetzen, dachte Gregorius, oder die Begegnung war zu Ende.
»Drüben in der Nische ist Tee«, sagte Eça. »Ich hätte auch gerne eine Tasse.«
Im ersten Augenblick befremdete es Gregorius, daß er geheißen wurde zu tun, was sonst der Gastgeber tat. Doch dann sah er, wie sich Eças Hände
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