Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition)
Handlung von tollkühner Dreistigkeit herausfordern wollen, so daß er ihn nicht länger würde schützen können. Ich sprach ihn darauf an. Unsere Freundschaft hing an einem seidenen Faden. Dieses Mal gab er nicht zu, daß ich recht hatte. Aber er wurde beherrschter, besonnener.
Kurz darauf erledigte er mit Bravour zwei heikle Operationen, die nur einer wie er erledigen konnte, der das Eisenbahnnetz in- und auswendig kannte, und das tat Amadeu, er war verrückt nach Zügen, Schienen und Weichen, kannte alle Lokomotivtypen, und vor allem kannte er jedes Bahnhofsgebäude in Portugal, noch vom kleinsten Nest wußte er, ob es ein Stellwerk hatte oder nicht, denn das war eine seiner Obsessionen: daß man, indem man einen Hebel umlegte, über die weitere Richtung des Zugs bestimmen konnte. Diese einfache mechanische Operation, sie faszinierte ihn über alle Maßen, und es war am Ende sein Wissen von diesen Dingen, sein verrückter Eisenbahnpatriotismus, der unseren Leuten das Leben rettete. Die Kameraden, die es nicht gern gesehen hatten, daß ich ihn aufnahm, weil sie ihn für einen exaltierten Feingeist hielten, der uns gefährlich werden konnte, änderten ihre Meinung.
Mendes muß ihm unendlich dankbar gewesen sein. Ich durfte im Gefängnis keinen Besuch empfangen, auch Mariana nicht, und schon gar nicht Kameraden, die im Verdacht standen, zum Widerstand zu gehören. Mit einer Ausnahme: Amadeu. Er durfte zweimal im Monat kommen, und er konnte sich die Tage und sogar die Uhrzeit aussuchen, es sprengte alle Regeln.
Und er kam. Er kam immer und blieb länger als vereinbart, die Aufseher fürchteten seinen zornigen Blick, wenn sie die Zeit anmahnten. Er brachte mir Medikamente mit, solche gegen die Schmerzen und solche zum Schlafen. Sie ließen ihn damit durch und nahmen sie mir hinterher ab, ich habe ihm das nie gesagt, er hätte versucht, die Mauern niederzureißen. Tränen liefen ihm über die Wangen, als er sah, was sie mit mir gemacht hatten, Tränen, die natürlich auch Tränen des Mitleids waren, aber vielmehr noch Tränen der ohnmächtigen Wut. Es fehlte nicht viel, und er wäre den Wärtern gegenüber handgreiflich geworden, sein feuchtes Gesicht war rot vor Zorn.«
Gregorius sah Eça an und stellte sich vor, wie er mit seinem grauen, schneidenden Blick den glühenden Eisen entgegengesehen hatte, die alles Sehen in zischender Glut zu ersticken drohten. Er spürte die unglaubliche Stärke dieses Mannes, den man nur besiegen konnte, indem man ihn physisch auslöschte, und selbst von seiner Abwesenheit, seinem Fehlen im Raum, würde noch ein Widerstand ausgehen, der seine Gegner nicht schlafen ließ.
»Amadeu brachte mir die Bibel, das Neue Testament. Portugiesisch und Griechisch. Das und die griechische Grammatik, die er dazulegte, waren in den zwei Jahren die einzigen Bücher, die sie durchließen.
›Du glaubst kein Wort davon‹, sagte ich zu ihm, als sie kamen, um mich in die Zelle zurückzubringen.
Er lächelte. ›Es ist ein schöner Text‹, sagte er. ›Eine wunderschöne Sprache. Und achte auf die Metaphern.‹
Ich staunte. Ich hatte die Bibel nie wirklich gelesen, kannte nur die geflügelten Worte, wie jeder. Ich staunte über die sonderbare Mischung aus Treffendem und Bizarrem. Manchmal sprachen wir darüber. Eine Religion, in deren Zentrum eine Hinrichtungsszene steht, finde ich abstoßend , sagte er einmal. Stell dir vor, es wäre ein Galgen gewesen, eine Guillotine oder eine Garrotte. Stell dir vor, wie unsere religiöse Symbolik dann aussähe. So hatte ich das noch nie gesehen, ich erschrak beinahe ein bißchen, auch deshalb, weil der Satz in diesen Mauern ein besonderes Gewicht hatte.
So war er, der gottlose Priester: Er dachte die Dinge zu Ende. Er dachte sie immer zu Ende, ganz gleich, wie schwarz die Konsequenzen waren. Manchmal hatte sie etwas Brutales an sich, diese Art, etwas Selbstzerfetzendes. Vielleicht war es deshalb, daß er außer mir und Jorge keine Freunde hatte, man mußte einiges vertragen können. Er war unglücklich darüber, daß Mélodie ihm aus dem Weg ging, er liebte seine kleine Schwester. Ich habe sie nur ein einziges Mal gesehen, sie wirkte leicht und heiter, ein Mädchen, das den Boden nicht zu berühren schien, ich könnte mir vorstellen, daß sie mit der schwermütigen Seite des Bruders, der dazu noch wie ein kochender Vulkan vor dem Ausbruch sein konnte, nicht zurechtkam.«
João Eça schloß die Augen. Erschöpfung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Es war eine
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