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Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition)

Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition)

Titel: Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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verwandelte es sich in ein langgezogenes Jaulen und Heulen, das dem Elend des ganzen Themas galt.
    Jorge O’Kelly brach in lautes Lachen aus, und nach einer Schrecksekunde folgten ihm die anderen. Ich glaube, Amadeu war für einen Moment konsterniert, Humor war das letzte, mit dem er gerechnet hatte. Aber es war Jorge, der angefangen hatte, und so mußte es wohl in Ordnung sein. Das Lächeln, das auf seinem Gesicht erschien, war ein bißchen bemüht, aber es hielt sich, und während nun noch andere Hunde in das Gejaule und Geheule einstimmten, verließ er das Pult.
    Jetzt erst erwachte Senhor Cortês, der Rektor, aus seiner Lähmung. Er erhob sich, ging auf Amadeu zu und schüttelte ihm die Hand. Kann man an einem Händedruck erkennen, daß einer froh darüber ist zu wissen, es wird der letzte sein? Senhor Cortês sagte zu Amadeu ein paar Worte, die im vereinten Hundegeheul untergingen. Amadeu antwortete, und während er sprach, fand er seine Selbstsicherheit wieder, man konnte es an den Bewegungen erkennen, mit denen er das skandalöse Manuskript in die Tasche des Gehrocks schob; es waren nämlich keine Bewegungen des verschämten Versteckens, sondern Bewegungen, mit denen einer etwas Kostbares an sicherem Ort verstaut. Am Ende neigte er den Kopf, sah dem Rektor gerade in die Augen und wandte sich dann zur Tür, wo Jorge auf ihn wartete. O’Kelly legte ihm den Arm um die Schulter und schob ihn hinaus.
    Später habe ich die beiden im Park gesehen. Jorge redete und gestikulierte, Amadeu hörte zu. Die beiden erinnerten mich an einen Trainer, der mit seinem Schützling den Kampf von eben durchgeht. Dann kam ihnen Maria João entgegen. Jorge berührte den Freund mit beiden Händen an den Schultern und schob ihn dann lachend in Richtung des Mädchens.
    Über die Rede wurde unter den Lehrern kaum gesprochen. Ich würde nicht sagen: Sie wurde totgeschwiegen. Eher war es so, daß wir die Worte nicht fanden, oder den Ton, um uns auszutauschen. Und vielleicht waren manche auch froh über die unerträgliche Hitze jener Tage. So mußten wir nicht sagen: ›Unmöglich!‹, oder: ›Ein bißchen was ist ja vielleicht schon dran‹. Wir konnten statt dessen sagen: ›Was für eine Affenhitze!‹«

19
     
    Wie war es möglich, dachte Gregorius, daß er in der hundertjährigen Trambahn durch das abendliche Lissabon fuhr und dabei ein Gefühl hatte, als bräche er jetzt, mit einer Verspätung von achtunddreißig Jahren, doch noch nach Isfahan auf? Von Pater Bartolomeu kommend, war er unterwegs ausgestiegen und hatte in der Buchhandlung endlich die Dramen von Aischylos und die Gedichte von Horaz abgeholt. Auf dem Weg zum Hotel dann hatte ihn etwas gestört, und sein Schritt war immer langsamer und zögerlicher geworden. Minutenlang hatte er im Dampf einer Hähnchenbude gestanden und hatte dem abstoßenden Geruch nach verbranntem Fett getrotzt. Es war ihm unerhört wichtig erschienen, gerade jetzt stehen zu bleiben und herauszufinden, was da an die Oberfläche drängte. Hatte er jemals zuvor so konzentriert versucht, sich auf die Spur zu kommen?
    Er war ja nach außen hin hellwach, noch nicht nach innen. Es hatte den Klang von etwas ganz Selbstverständlichem gehabt, als Pater Bartolomeu das über Prado gesagt hatte. Als wisse jeder Erwachsene ohne weiteres Bescheid über innere und äußere Wachheit. Português . Gregorius hatte die Portugiesin auf der Kirchenfeldbrücke vor sich gesehen, wie sie sich mit gestreckten Armen auf das Geländer gestützt hatte und wie ihre Fersen aus den Schuhen geglitten waren. Estefânia Espinhosa. Ein Name wie ein Gedicht , hatte Prado gesagt. Über die Grenze. In den Bergen. Fragen Sie mich nicht, wo. Und plötzlich dann, ohne zu verstehen, wie es kam, hatte Gregorius gewußt, was er in sich gespürt hatte, ohne es zu erkennen: Er wollte Prados Rede nicht im Hotelzimmer lesen, sondern draußen im verlassenen Liceu, dort, wo er sie gehalten hatte. Dort, wo die hebräische Bibel in der Schublade auf seinem Pullover lag. Dort, wo es Ratten und Fledermäuse gab.
    Warum war ihm dieser vielleicht skurrile, aber doch harmlose Wunsch vorgekommen, als entschiede sich an ihm etwas Wichtiges? Als hätte es weitreichende Konsequenzen, wenn er nun, statt weiter zum Hotel zu gehen, zurück zur Straßenbahn ging? Kurz vor Ladenschluß war er in ein Geschäft mit Eisenwaren geschlüpft und hatte die stärkste Taschenlampe gekauft, die sie hatten. Und nun saß er wieder in einem dieser alten Tramwagen und ratterte

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