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Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition)

Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition)

Titel: Nachtzug nach Lissabon: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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ausführliche portugiesische Grammatik, trocken wie ein Lateinbuch, ohne Firlefanz zur angeblichen Erleichterung des Lernens; eine Geschichte Portugals.
    »Und dann etwas, das es vielleicht gar nicht gibt: eine Geschichte der portugiesischen Widerstandsbewegung unter Salazar.«
    »Klingt nach Abenteuer«, sagte Natalie.
    »Ist es auch«, sagte Gregorius. »Irgendwie.«
    »Faço o que posso« , sagte sie. Ich tue, was ich kann.
    Erst verstand Gregorius nicht, dann fuhr er zusammen. Daß eine seiner Schülerinnen Portugiesisch konnte – das durfte es nicht geben. Es vernichtete den Abstand zwischen Bern und Lissabon. Es zerstörte den Zauber, den ganzen verrückten Zauber seiner Reise. Er verfluchte den Anruf.
    »Sind Sie noch dran? Meine Mutter ist Portugiesin, falls Sie sich wundern.«
    Er brauche außerdem eine Grammatik des Neupersischen, sagte Gregorius, und er nannte ihr das Buch, das damals, vor vierzig Jahren, dreizehn Franken dreißig gekostet hatte. Falls es das Buch noch gebe, sonst ein anderes. Er sagte es wie ein trotziger Junge, der sich seine Träume nicht wegnehmen lassen will.
    Dann ließ er sich ihre Adresse geben und nannte ihr sein Hotel. Das Geld tue er noch heute auf die Post, sagte er. Wenn etwas übrig sei – nun ja, vielleicht brauche er später noch etwas.
    »Sie richten sozusagen ein Konto bei mir ein? Das gefällt mir.«
    Gregorius mochte, wie sie das sagte. Wenn sie nur kein Portugiesisch könnte.
    »Sie haben hier ja einen Mordsaufruhr verursacht«, sagte sie, als es in der Leitung still blieb.
    Gregorius wollte davon nichts hören. Er brauchte eine Wand des Unwissens zwischen Bern und Lissabon.
    Was denn geschehen sei, fragte er.
    ›Der kommt nicht wieder‹, hatte Lucien von Graffenried in die verblüffte Stille hinein gesagt, als Gregorius die Tür des Klassenzimmers hinter sich geschlossen hatte.
    ›Du bist verrückt‹, hatten andere gesagt, ›Mundus läuft doch nicht einfach weg, doch nicht Mundus, nie im Leben.‹
    ›Ihr könnt eben keine Gesichter lesen‹, hatte von Graffenried erwidert.
    Das hätte Gregorius von Graffenried nicht zugetraut.
    »Wir waren bei Ihnen zu Hause und haben geklingelt«, sagte Natalie. »Ich hätte geschworen: Sie waren da.«
    Sein Brief an Kägi war erst am Mittwoch angekommen. Den ganzen Dienstag über hatte Kägi bei der Polizei nach Unfallmeldungen gefragt. Die Latein- und Griechischstunden waren ausgefallen, die Schüler saßen ratlos draußen auf den Stufen. Alles war aus dem Lot.
    Natalie zögerte. »Die Frau… ich meine… das fanden wir spannend, irgendwie. Entschuldigung«, fügte sie hinzu, als er schwieg.
    Und am Mittwoch?
    »In der großen Pause fanden wir am Schwarzen Brett einen Aushang. Sie würden bis auf weiteres nicht mehr unterrichten, stand drauf, Kägi selber werde die Stunden übernehmen. Eine Abordnung ging zu Kägi und fragte nach. Er saß hinter seinem Schreibtisch und hatte Ihren Brief vor sich. Er war ganz anders als sonst, viel bescheidener, sanfter, nichts mehr von Rektor und so. ›Ich weiß nicht, ob ich das tun darf‹, sagte er, doch dann las er die Stelle aus Marc Aurel, die Sie zitiert hatten. Ob er denke, Sie seien krank, fragten wir. Er schwieg lange und sah zum Fenster hinaus. ›Ich kann’s nicht wissen‹, sagte er schließlich, ›aber eigentlich glaube ich’s nicht. Ich glaube eher, daß er plötzlich etwas gespürt hat, etwas Neues. Etwas Leises und doch Revolutionäres. Es muß wie eine lautlose Explosion gewesen sein, die alles veränderte.‹ Wir erzählten von… von der Frau. ›Ja‹, sagte Kägi darauf, ›jaa.‹ Ich hatte das Gefühl, er war irgendwie neidisch. ›Kägi ist cool‹, sagte Lucien nachher, ›das hätte ich ihm gar nicht zugetraut.‹ Stimmt. Aber er ist so langweilig im Unterricht. Wir… wir hätten Sie gern zurück.«
    Gregorius spürte ein Brennen in den Augen und nahm die Brille ab. Er schluckte. »Ich… ich kann dazu jetzt nichts sagen«, sagte er.
    »Aber Sie sind… Sie sind nicht krank? Ich meine…«
    Nein, sagte er, er sei nicht krank. »Ein bißchen verrückt, aber nicht krank.«
    Sie lachte, wie er sie noch nie hatte lachen hören, ganz ohne den Klang des höfischen Fräuleins. Es war ein ansteckendes Lachen, und er lachte mit, überrascht von der unerhörten, nie gekannten Leichtigkeit seines Lachens. Eine Weile lachten sie im Gleichklang, er verstärkte sie und sie ihn, sie lachten immer weiter, längst war der Anlaß nicht mehr wichtig, sondern nur noch das

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