Nachtzug
Mönch trug, schien nicht sehr alt zu sein. Aber die Augen, diese auffälligen blauen Augen, die an die Farbe von Kornblumen im Sommer erinnerten, hatte sie schon vorher gesehen.
{227} Anna hatte vor Staunen den Mund weit aufgerissen, der stumme Mönch schaute sie nur traurig an. Nachdem eine Ewigkeit zwischen ihnen verstrichen war, fand Anna schließlich ihre Stimme wieder und flüsterte: »Hans …«
Dr. Jan Szukalski erschrak heftig, als Hauptsturmführer Dieter Schmidt plötzlich in sein Büro stürzte. Der bedrohliche Anblick seiner Eskorte mit ihren Maschinenpistolen sowie der Zorn, der in Schmidts Augen flackerte, ließen den Doktor sofort aufstehen.
»Herr Hauptsturm …«
»Schnauze! Setzen Sie sich wieder und hören Sie, was ich Ihnen zu sagen habe!«
Szukalski, der Schmidt noch nie mit so wenig Selbstbeherrschung erlebt hatte, setzte sich entsetzt wieder hin.
Der SS -Kommandant kam sofort zur Sache und verlas die neuen Befehle, die er soeben aus Krakau erhalten hatte. »Wenn ich Sie nicht bräuchte, um die Epidemie unter Kontrolle zu halten«, zischte er, »würde ich Sie auf der Stelle dafür erschießen lassen, daß Sie das alles nicht verhindert haben!« Während der Kommandant fortfuhr, entspannte sich Szukalski in seinem Sessel. Er hatte noch nie Angst auf dem Gesicht des Hauptsturmführers gesehen. Er fand den Anblick interessant.
»Ich werde Sie für jede Nichtbeachtung meiner Verfügungen persönlich verantwortlich machen, Szukalski. Merken Sie sich, daß niemand dieses Gebiet ohne meine Erlaubnis verläßt. Alle Züge, die hier normalerweise durchfahren, werden versiegelt und dürfen nicht anhalten. Der Bahnhof wird geschlossen.«
Er breitete brüsk eine Militärkarte auf dem Schreibtisch aus und wies mit einer Hand auf einen roten Kreis. »Die meisten Transporte werden dieses Gebiet umgehen, aber einige müssen hier durch. Aber sie werden nicht anhalten, und alle landwirtschaftlichen Produkte müssen hier verbleiben.« Jan Szukalski blickte ungläubig auf die Karte. Es war zu schön, um wahr zu sein. Um Sofia war in einem Radius von zwanzig Kilometern ein Kreis gezogen, ein roter Strich, der so viel wert war wie eine dicke Mauer. Und Dieter Schmidt erklärte ihm gerade, daß die Stadt in Zukunft in Ruhe gelassen werden sollte.
»Ich stelle Posten an allen Straßen auf, die aus dem Gebiet führen, {228} und sie haben den Befehl, auf jeden zu schießen, der es ohne meine ausdrückliche Genehmigung verlassen will.«
Szukalski ließ seine Hände in den Schoß fallen. Er versuchte, seine Aufregung zu zügeln.
»Sie sind verantwortlich für alle notwendigen öffentlichen Warnungen und Informationen an die Bevölkerung. Jeder muß sich über die einzuhaltenden Hygienemaßnahmen im klaren sein und wissen, wie man Läuse bekämpft. Ich will, daß diese Epidemie aufhört. Ist das klar?«
»Ja«, entgegnete Szukalski leise.
Als Dieter Schmidt seine Anordnungen erteilt hatte, stellte er sich stramm hin und blickte auf den Polen herunter. »Das hätten Sie niemals zulassen dürfen, Szukalski.«
»Ja, Herr Hauptsturmführer.«
Beide verschlossen einen Augenblick die Augen, und dann meinte der Krankenhausdirektor ruhig: »Herr Hauptsturmführer, haben Sie oder einer Ihrer Männer schon jemals Fleckfieber gehabt?« Schmidt trat unbewußt einen Schritt zurück. »Das soll wohl ein Scherz sein! Diese Schweinekrankheit, Szukalski! Nur Schweine kriegen Fleckfieber! In Deutschland hat es schon seit über fünfundzwanzig Jahren keine Epidemie mehr gegeben!«
»Was nicht gerade gut ist. Also nicht, daß es in Deutschland keine Epidemie gegeben hat, Herr Hauptsturmführer, sondern daß keiner Ihrer Leute jemals mit der Krankheit direkt zu tun hatte. Das bedeutet nämlich, daß Sie und Ihr Stab nicht die notwendige Immunität besitzen, die eintritt, wenn man mit der Krankheit in Kontakt war. Diese Fleckfiebererreger scheinen besonders gefährlich zu sein, Herr Hauptsturmführer, wir haben schon mehrere Tote. Jemand, der nie mit der Krankheit konfrontiert wurde, läuft wirklich Gefahr, sie nicht zu überleben, wenn er sie erst hat. Und ich denke, ich sollte gerade Sie warnen, Herr Hauptsturmführer, denn in diesem Augenblick befinden sich siebenundzwanzig Fälle in unserem Krankenhaus, mindestens sieben davon im Endstadium.«
»Wie bitte?« Schmidt trat noch einen Schritt zurück. »Sie wollen sagen, daß ich Kontakt mit Fleckfieberkranken hatte!« Die vier bewaffneten Männer, die den Kommandanten
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