Nachtzug
heimsuchten, ging die Entwicklung in Sofia in zwei verschiedene Richtungen.
Obwohl sie von den draußen tosenden Stürmen in ihrem Wirken ein {223} geschränkt wurden, entwickelten die Widerstandskämpfer in der Höhle langsam und überlegt ihren Plan, das Munitionsdepot von Sofia anzugreifen und zu zerstören. Es war ein gewaltiges Unternehmen, gefährlich und ohne Erfolgsgarantie, doch jeder der Partisanen verschrieb sich dem Vorhaben mit ganzem Herzen und Entschlossenheit. Kontakte mit einer anderen Gruppe im Norden wurden geknüpft, geheime Boten, die sich durch die winterliche Schneelandschaft stahlen, stellten eine dauerhafte Verbindung sicher. Ein vorläufiger Termin für den Hauptangriff wurde festgelegt, und jeder Tag in der Höhle wurde damit verbracht, die Ausbildung abzurunden und die notwendigen Vorbereitungen zu treffen.
Nachdem sie wieder zu Kräften gekommen waren, hatten sich die neuen Kameraden Każik und Stanisław als sehr hilfreich erwiesen, und ihre militärische Ausbildung und Erfahrung im Umgang mit Waffen stellten einen Segen für die Zivilisten dar. Die zweite Entwicklung bestand darin, daß Dr. Szukalski seine Tätigkeit auf sechs weitere Dörfer und Weiler ausdehnte und ungefähr tausend vorgetäuschte Fleckfieberfälle verursachte, für die er die gesamte produzierte Menge des ersten Proteus-Impfstoffs benötigte. Eine zweite Charge wurde in der Krypta der Kirche hergestellt, denn sie wagten es nicht mehr länger, im Krankenhauslabor zu arbeiten, und die Herstellung einer dritten Charge wurde bereits vorbereitet. Jan Szukalski hoffte, bis zum Spätfrühjahr ungefähr fünftausend Fleckfieberfälle in Sofia und Umgebung vortäuschen zu können.
Und das Zentrallabor reagierte, wie sie es sich gewünscht hatten.
Das Interesse erwachte und nahm rasch zu, weil immer mehr Blutproben aus Sofia positiv getestet wurden. Die zuständigen Ärzte wunderten sich über die hohen Titer der Krankheitsfälle in Sofia, die einen Hinweis auf eine hochvirulente Spielart der Krankheit darstellten. Und der Labordirektor Fritz Müller kommentierte die Ergebnisse gegenüber seinen Kollegen trocken: »Bei diesen Werten brauchen wir uns über die Endlösung für Sofia keine Sorgen zu machen. Das Fleckfieber wird schon alles für uns erledigen!«
Aber die ansteckende Erkrankung bot aus einem ganz anderen Grund Anlaß zu viel mehr Sorgen. »Zum Teufel mit den Polen«, entfuhr es dem Direktor, als er die letzten Ergebnisse betrachtete. »Wenn sie so dreckig sind, dann verdienen sie auch den Tod. Aber Sofia und Umge {224} bung sind eine Zwischenstation für unsere Truppen, und viele unserer Leute werden dort auf dem Weg an die Ostfront ausgerüstet. Es besteht die Gefahr, daß sie Fleckfieber mitschleppen, und man kann sich ja ausmalen, was das in Zusammenhang mit dem tödlichen russischen Winter bedeutet!«
Und deswegen wurde im Zentrallabor von Warschau beschlossen, das Gebiet angesichts so vieler Fleckfieberfälle in solch kurzer Zeit und wegen der hohen Virulenz der Krankheit zu einem Seuchengebiet zu erklären.
Der Direktor schickte sofort ein Telegramm nach Krakau:
EMPFEHLEN , SOFIA UND UMGEBUNG IN EINEM UMKREIS VON ZWANZIG KILOMETERN ZU EINEM FLECKFIEBERSEUCHENGEBIET ZU ERKLÄREN. SCHLAGEN VOR , ALLE TRUPPENBEWEGUNGEN NACH LUBLIN UMZULEITEN UND DAS IN DEM GEBIET STATIONIERTE MILITÄR AUF FÜNFUNDZWANZIG PROZENT SEINES JETZIGEN BESTANDES ZU VERRINGERN .
Der Generalgouverneur Hans Frank unterschrieb persönlich den Befehl an den Militärbefehlshaber von Sofia, die Truppenstärke zu reduzieren und alles überflüssige Personal nach Krakau zu schicken. Landwirtschaftliche Produkte aus dem Gebiet durften nicht mehr länger beschlagnahmt werden, sondern hatten innerhalb des vorgeschriebenen Umkreises zu verbleiben, die Kontakte zu allen Zivilisten sollten auf ein Minimum beschränkt werden.
Dieter Schmidt wurde bleich, als er den Befehl las. Sein Bezirk ein Quarantänegebiet! Und dann noch fünfundsiebzig Prozent seiner Leute wegschicken! Was dachten die eigentlich, wie er die Kontrolle über die Stadt aufrechterhalten und gleichzeitig die Sicherheit des Depots gewährleisten sollte? Sofia war zu wichtig und von zu vitalem Interesse, als daß man es so lange unter Quarantäne stellen konnte. Die Frühlingsoffensive nahte. Den ganzen Winter über hatte man Benzin und Artillerie ins Depot gebracht, um nach dem Tauwetter alles weiterzutransportieren. Und was sollte jetzt geschehen? Wie sollte er mit den
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