Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nachtzug

Titel: Nachtzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood , Gareth Wootton
Vom Netzwerk:
begleiteten, tauschten nun besorgte Blicke aus.
    {229} »Wahrscheinlich waren Sie immer weit genug entfernt, Herr Hauptsturmführer, aber ich würde schon sagen, daß die Möglichkeit besteht. Achten Sie darauf, daß Sie alle Ihre Kleidungsstücke in Ihrem Hauptquartier unter heißem Dampf reinigen. Ich werde Ihnen morgen früh sofort eine Kopie meiner offiziellen Hygieneanweisungen zukommen lassen. Sie sollten Zivilisten so weit wie möglich aus dem Weg gehen, um zu verhindern, daß Sie oder Ihre Männer mit der Krankheit in Berührung kommen. Und das wichtigste, Herr Hauptsturmführer: Meiden Sie Menschenansammlungen.«
    Dieter Schmidt bekam eine Gänsehaut und wandte sich mit bleichem Gesicht an seine Männer: »Habt ihr alles gehört und verstanden?« Sie nickten energisch. Und zu Szukalski gewandt, meinte er: »Ich höre morgen von Ihnen, Herr Doktor.«
    »Da seien Sie völlig unbesorgt, Herr Hauptsturmführer. Mein Eid verlangt, daß ich jedem helfe, ob Freund oder Feind.«
     
    Sie lagen im Bett seiner Großmutter und starrten an die Decke, Anna schmiegte sich an seine Brust. Das Haus war still, denn Kepplers Großmutter war nach der Nachricht von seinem Tod zur Familie in Essen gezogen. Seit Keppler ihr seine lange und verwickelte Geschichte erzählt und ihr die Hintergründe erklärt hatte, hatten sie kein Wort mehr miteinander gesprochen. Er hatte nichts ausgelassen, nicht einmal Auschwitz.
    Er hatte ihr von seiner Beichte bei Pfarrer Wajda berichtet, von seinem ersten Treffen mit Szukalski und von der Entscheidung, die sie letztlich gefällt hatten. Er hatte geschildert, wie sie seinen Tod vortäuschten, damit er von seinen militärischen Pflichten befreit wurde, wie Szukalski ihm eine kahle Stelle auf dem Kopf schor und Pfarrer Wajda ihm eine neue Identität und Kleidung besorgte. Sie hatten den Leichnam eines Patienten, der an einer Lungenentzündung gestorben war, verbrannt und die Asche nach Essen geschickt, damit er dort mit militärischem Zeremoniell beigesetzt würde. Dann hatte er auch von dem Labor in der Krypta gesprochen und darüber, was die Ärzte unternahmen, um Sofia vor der Endlösung zu retten. Schließlich hatte er ihr auch gestanden, wie er sie jeden Tag in der Kirche beobachtet hatte und wie er die Situation am Ende nicht mehr aushalten konnte.
    {230} Er hatte mit seinem Geständnis gewartet, bis sie miteinander geschlafen hatten, denn er hatte befürchtet, daß sie ihn zurückweisen würde, sobald sie die Wahrheit über ihn erführe, und deshalb fühlte er sich jetzt schuldig. Er warf sich vor, Annas Liebe unter Vorspiegelung falscher Tatsachen gewonnen zu haben. Anna dagegen schwieg aus anderen Gründen, als Keppler sie sich ausmalte. Es war in erster Linie ein Schock, der sie jetzt vom Sprechen abhielt, aber noch etwas anderes hinderte sie für den Augenblick daran, sich zu seinem Geständnis zu äußern.
    Als er drei Zigaretten geraucht hatte und Anna immer noch nichts sagte, als sie sich nicht einmal bewegte, seufzte oder sonst irgendwie die Stille durchbrach, da konnte Hans das Schweigen nicht mehr ertragen. Mit bedrückter Stimme wandte er sich in der Dunkelheit an sie: »Du verachtest mich jetzt, nicht wahr?«
    Anna, die durch den Klang seiner Stimme, aber auch durch seine Worte selbst erschrak, schwieg weiter und blinzelte mit den Augen. Schließlich begriff sie, was er meinte, und so richtete sie sich schnell auf einem Ellenbogen auf und blickte ihn an: »Wie bitte?« flüsterte sie ungläubig.
    »Ich bin dir deshalb nicht böse«, fuhr er fort und wandte den Blick von ihr ab.
    »Hans, so etwas darfst du nicht sagen! Wie kommst du denn darauf, daß ich dich hasse?«
    Er rollte den Kopf auf ihre Seite und betrachtete ihr Gesicht im matten Licht. Sie war schöner als jemals zuvor. Der junge Mann war überzeugt, daß er noch nie einen glücklicheren Moment erlebt hatte.
    »Du meinst wegen deiner Vergangenheit?« fragte sie ihn leise. »Du hast geglaubt, daß ich dich deshalb hasse?«
    Er nickte stumm.
    Anna lachte kurz und gar nicht bedrückt. »Aber das ist doch absurd. Das einzige, was zählt, ist, daß du geflüchtet bist, Hans, daß du zu anständig warst, um noch weiter mitzumachen. Die, die ich verabscheue,
moy kochany,
sind die, die immer noch dort sind, die bleiben und alles hinnehmen und sich sogar daran … weiden.«
    »Anna …«, murmelte er und drückte ihr zärtlich eine Hand auf die Wange. »O Anna …«
    »Ich liebe dich, Hans«, wisperte sie. Das spärliche

Weitere Kostenlose Bücher