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Nachtzug

Titel: Nachtzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood , Gareth Wootton
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Schweigen zu brechen, machte Schmidts besonderen Wert aus. Aber natürlich gehörten solche Banalitäten wie tägliche Verhöre inzwischen nicht mehr zu den persönlichen Pflichten eines Dieter Schmidt, der ja mittlerweile eine bedeutende Persönlichkeit geworden war, die über einen eigenen Stab gebot, eine ganze Stadt regierte und für den Schutz einer wichtigen militärischen Einrichtung die Verantwortung trug. Die routinemäßigen Angelegenheiten wie Verhöre hatte er seinen Untergebenen anvertraut, die er vorher in die Kunst des Folterns und des hartnäckigen Befragens eingewiesen hatte. Und so war seine Sondereinheit an diesem wunderbaren Weihnachtsmorgen gerade mit einem Mann beschäftigt, der jeden Augenblick unter der Folter zusammenzubrechen drohte. Es handelte sich um einen Bauern namens Milewski.
    Als er endlich die Stockpeitsche auf dem Tisch neben seinem Bett gefunden hatte, trat Schmidt noch einmal vor den Spiegel, um sich einmal mehr an seinem Abbild zu weiden. Zweifellos setzte die lederbesetzte Weidenrute mit ihrem Hirschhorngriff, die er sich in Berlin als persönliche Marotte einmal zugelegt hatte, in seinen Augen sei {79} nem beeindruckenden Erscheinungsbild noch das I-Tüpfelchen auf. Als es klopfte, fuhr er herum und erteilte mit bellender Stimme die Erlaubnis zum Eintreten. Ein SS -Rottenführer schlug die Hacken zusammen, hob die Hand zum Hitler-Gruß und unterrichtete den Kommandanten, daß der polnische Bauer inzwischen unter dem Verhör zusammengebrochen war. Der Rottenführer fuhr fort und berichtete in allen Einzelheiten, was der Bauer über seine verdächtigen Aktivitäten vom Vortag gestanden hatte und was es mit dem blutbefleckten Wagen auf sich hatte.
    Dieter Schmidt nahm den Bericht mit finsterer Befriedigung entgegen. Die Sache war wirklich brisant und eröffnete ihm die Möglichkeit, eine bestimmte Person diesmal endgültig an den Galgen zu bringen.
    Er entließ den Mann und postierte sich noch einmal vor dem Spiegel. Mit einem zweideutigen Lächeln sprach er sich leise Lob zu und schwor sich, das Komplott, das er aufgedeckt hatte, rücksichtslos zu ahnden. Diesen Verstoß gegen seine Anordnungen würde er nicht hinnehmen, Recht und Gesetz mußten unerbittlich Geltung verschafft werden. Schließlich erließ er, Dieter Schmidt, in dieser Gegend die Anordnungen und verkörperte das Gesetz.
    In letzter Zeit hatte es zu wenige Hinrichtungen gegeben.
    Vergangenes Jahr hatten noch sechsundneunzig Partisanen am Galgen auf dem Marktplatz gebaumelt, aber dieses Jahr waren es nur peinlich wenige gewesen. Die Menschen benahmen sich gut, zu gut. Und leider viel zu vorsichtig. Irgend jemand mußte hinter den gelegentlichen Sabotageakten stecken, die hier und da in der Umgebung und ab und zu auch in der Stadt selbst begangen wurden, doch bis jetzt hatte Schmidt nicht herausgefunden, wer es war. Es gab in dieser Gegend eine aktive Widerstandsbewegung, und es ärgerte ihn, daß er bis dahin auch nicht den kleinsten Anhaltspunkt für deren Mitglieder und Hintermänner hatte finden können.
    Doch nun, dachte er glücklich und schlug sich mit dem Stock gegen den Oberschenkel, nun schien es, als habe sich ihm eine Tür geöffnet. Und wie konnte man die Widerstandskämpfer besser einschüchtern als dadurch, daß man ein Exempel an einem angesehenen Bürger von Sofia statuierte?
    An dem ehrwürdigen Dr. Szukalski beispielsweise …

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    Als Alexander in der ihm eigenen, unnachahmlichen Art die Treppe bäuchlings und rückwärts zugleich hinunterkrabbelte, war das Wohnzimmer hell erleuchtet, ein soeben entfachtes Feuer ließ den Herd bullern, die Kerzen am Weihnachtsbaum brannten. Die einladend verpackten Geschenke unter dem Baum ließen ihn vor Vergnügen kreischen, und er watschelte so schnell ihn seine Füße zu tragen vermochten durch das Zimmer. Und für einen Zweijährigen war er recht schnell.
    Kurz hinter ihm folgte Jan Szukalski, der nur langsam die Treppe hinunterging und den Gürtel seines Morgenmantels stramm zog. Er versuchte, die Gedanken zu vertreiben, die schwer auf ihm lasteten. Dann blieb er kurz stehen und beobachtete seinen kleinen Sohn voller Stolz. Alexander stand mit seinem goldenen Haar, seinen blauen Augen und seiner kräftigen, stämmigen Figur für die Erfüllung des sehnlichsten Wunsches, den Jan in seinem Leben gehabt hatte. Es handelte sich um einen hübschen kleinen Burschen, einen wahren Engel, der die nordischen Züge seiner Mutter besaß und in keiner Weise etwas

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