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Nachtzug

Titel: Nachtzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood , Gareth Wootton
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Augenblick und blätterte die Unterlagen durch, dann ging er weiter zur ersten Krankenabteilung.
    Auf dem Weg dorthin wurde er zu seiner Überraschung von Dieter Schmidt angehalten. Szukalski blieb sofort stehen. Es war nicht üblich, daß der SS -Kommandant sein Krankenhaus aufsuchte, handelte es sich doch um einen Ort, an den er gewöhnlich seine Untergebenen entsandte. Szukalski staunte nicht schlecht, als sich der stämmige Mann in seiner schwarzen Uniform mit gespreizten Beinen vor ihm postierte, um ihm den Weg zu versperren. »Guten Morgen, Herr Doktor«, wandte Schmidt sich in ruhigem Ton an ihn und betonte dabei das letzte Wort spöttisch.
    »Guten Morgen.« Szukalski warf einen Blick auf die drei Männer mit Maschinenpistolen, die hinter Schmidt standen und deren Gesichter aussahen, als wären sie aus Roheisen geschmiedet. »Womit kann ich Ihnen dienen, Herr Hauptmann?«
    »Hauptsturmführer«, korrigierte Schmidt spitz.
    »Natürlich, ich bitte vielmals um Entschuldigung. Was kann ich also für Sie tun, Herr Hauptsturmführer?«
    Dieter Schmidt ließ jetzt absichtsvoll ein Lächeln über sein Gesicht huschen. »Ich bitte Sie, mein werter Herr Doktor, dies ist lediglich {83} ein Höflichkeitsbesuch. Schließlich haben wir doch Weihnachten, oder nicht?«
    Sie unterhielten sich auf deutsch, denn Schmidt verabscheute die slawischen Sprachen, die eine Beleidigung für sein germanisches Empfinden darstellten; außerdem war es ihm immer zu schwergefallen, eine andere Sprache als seine Muttersprache zu lernen. Jan Szukalski dagegen beherrschte Deutsch hervorragend, da er während seines Medizinstudiums ausgiebig deutsche Fachliteratur hatte lesen müssen, und so entgingen ihm auch nicht die hinterlistigen Spitzfindigkeiten des Kommandanten.
    »Wie geht es Ihrer Familie?« erkundigte sich Schmidt, »Ihrer wunderbaren Frau und diesem hübschen kleinen Knaben? Sind sie wohlauf? Keine Probleme?«
    Szukalski fühlte, wie sein Mundwinkel zuckte. »Es geht ihnen ausgezeichnet, danke schön.«
    »Gut, sehr gut. Und das Krankenhaus? Alles wie gewohnt? Nichts, was Ihnen Probleme bereitet, Herr Doktor?«
    »Alles funktioniert reibungslos, Herr Hauptsturmführer.«
    Dieter Schmidts Augen blitzten auf. »Keine ungewöhnlichen Vorgänge?«
    »Nein, Herr Hauptsturmführer.«
    »Gut, sehr gut.« Schmidt verlagerte leicht seinen Schwerpunkt und zog seine Hände hinter dem Rücken hervor, in denen er die Stockpeitsche hielt. Er schlug sich mit dem Griff auf eine Handfläche, umgriff dann den Schaft mit den Fingern und bewegte ihn mehrmals nachdenklich in der geschlossenen Faust hin und her. Dabei hielt er den Blick die ganze Zeit fest auf Szukalski gerichtet.
    Plötzlich meinte der SS -Kommandant: »Sagen Sie, Herr Doktor, haben Sie jemals etwas von dem Begriff ›Nacht-und-Nebel-Aktion‹ gehört? Bestimmt doch, oder nicht? Sie sind doch ein informierter Mensch, nicht wahr?«
    Szukalski nickte finster und spürte, wie sich eine unangenehme Starre in ihm ausbreitete. Jeder wußte, was »Nacht-und-NebelAktion« bedeutete: Festnahmen in der Nacht, nach denen der Verhaftete für gewöhnlich verschwand, ohne daß man je wieder von ihm hörte. Seinem ehemaligen Assistenten war vor anderthalb Jahren dieses Schicksal widerfahren.
    {84} »Sie verstehen doch, Herr Doktor, daß ein jeder jederzeit von der Gestapo aufgesucht und abgeführt werden kann, und zwar ohne die üblichen schwerfälligen Formalitäten und Verhöre. Denken Sie mal darüber nach, Herr Doktor, denken Sie daran, wie Ihre wunderbare kleine Familie vielleicht in der Nacht geweckt und aus ihren warmen Betten gerissen wird. Stellen Sie sich vor, wie Sie, nur im Nachthemd, aus dem Haus gezerrt und in einen Wagen geschleppt werden.« Er setzte ein schiefes Lächeln auf. »Ohne daß man je wieder von Ihnen hört.«
    Szukalski verzog keine Miene. Als er spürte, daß seine Finger das Klemmbrett auf seinem Arm umkrampften, zwang er sich, sie zu entspannen. Und als er fühlte, daß sich sein Kiefer in ähnlicher Weise verkrampfte und ihm die Schläfenadern anschwollen, da griff er auf seine letzten Kraftreserven zurück, um diese Symptome der Anspannung vor Dieter Schmidt zu verbergen.
    Schmidt mochte nicht über größere geistige Fähigkeiten verfügen als viele andere, aber er war ein Meister in der Kunst, Angst einzuflößen, und allein schon aus diesem Grund nahm Szukalski ihn ernst. Während Dieter Schmidt unter anderen Umständen und zu einer anderen Zeit allenfalls sein

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