Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nachtzug

Titel: Nachtzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood , Gareth Wootton
Vom Netzwerk:
Symptome klagten, wie sie bei Fleckfieber auftreten.«
    »Ja, ich auch.« Jan blickte über seine Schulter, und als er sah, daß der Gang menschenleer war, fuhr er fort: »Wir sollten am Anfang zurückhaltend vorgehen und darauf achten, daß sich unsere Epidemie nach demselben Muster entwickelt wie eine echte Epidemie. Ein paar Einzelfälle hier und da mit zunehmender Tendenz jeden Monat bis zum Frühling. Anschließend ein Abklingen über den Sommer und Herbst mit darauffolgender Verschlimmerung im Winter.«
    »Wissen Sie, Jan«, meinte Maria leise, »erst heute ist mir klargeworden, daß wir einen Weg beschreiten, von dem es bis zum Kriegsende kein Zurück mehr gibt.«
    »Wenn der Krieg je zu Ende geht.«
    »Oder bis man unsere List aufdeckt.«
    »Ich denke, daß wir so lange sicher sind, wie wir unser Geheimnis für uns behalten. Wenn wir den Patienten sagen, daß sie Fleckfieber haben und daß wir nur eine Proteinbehandlung an ihnen vornehmen, dann werden wir ihnen keine Informationen liefern, die jemandem nützen, der skeptisch ist. Nehmen wir Dieter Schmidt. Er könnte diese Patienten noch so sehr foltern, das einzige, was er aus ihnen herausbekommen würde, wäre, daß sie Fleckfieber hatten und daß ihnen Proteine verabreicht wurden. Und warum sollte er überhaupt auf die Idee kommen nachzufragen? Außerdem wird es hier wie gewöhnlich genug echte Fleckfieberfälle geben, so daß unsere künstlichen Kranken sich nur ins Gesamtbild fügen.«
    Sie kamen an der Tür zu seinem Büro an und blieben stehen. Maria blickte sich um und sagte dann ruhig: »Wenn wir morgen auf Visite gehen, sollten wir den Impfstoff an jeden verabreichen, der todkrank ist. Fünf Patienten hier im Krankenhaus sterben gerade an Krebs, und von drei weiteren weiß ich, daß sie in den nächsten Monaten sterben werden.«
    Szukalski nickte. »Sie haben recht, wir sollten bei allen für ein positives Testergebnis sorgen. Ich will den Eindruck erwecken, daß die meisten Todesfälle bei uns auf Fleckfieber zurückzuführen sind. Je {203} bösartiger wir die Epidemie darstellen können, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß die Deutschen unser Gebiet unter Quarantäne stellen.«
     
    Es war bitterste Ironie, daß auf einer Wand von Dieter Schmidts Büro ausgerechnet ein Bild von Marschall Pilsudski prangte, des Nationalhelden Polens im Kampf gegen die Bolschewisten. Das Wandgemälde wurde zwar zum größten Teil von einer Fahne mit einem riesigen Hakenkreuz bedeckt, aber an den Rändern konnte man noch andeutungsweise erkennen, daß es für Polen schon bessere Zeiten gegeben hatte.
    Mit einer Tasse Tee in der Hand, die allmählich kalt wurde, saß der Hauptsturmführer an seinem Schreibtisch und las gerade den letzten Morgenrapport zu Ende. Nichts Neues über die Widerstandsbewegung. Absolut nichts. Nicht einmal seine Geheimagenten, die er in allen Bereichen von Sofia eingesetzt hatte, fanden Zugang zum Untergrund.
    Was Dieter Schmidt außerdem ärgerte, war die zunehmende Zahl von Berichten über mögliche Fleckfieberfälle. Es waren zwar nicht so viele, daß man sich hätte Sorgen machen müssen, und außerdem handelte es sich nur um mögliche Fälle, die noch durch Laboruntersuchungen bestätigt werden mußten, aber auf dem Wilk-Hof hatte es immerhin einen Toten gegeben. Und außerdem war da noch der Fall des jungen Waffen- SS -Mannes, der hier seinen Urlaub verbracht hatte.
    Dieter Schmidt nahm sich vor, Szukalski daran zu erinnern, daß man ihn zur Verantwortung ziehen würde, wenn die Seuche bedrohliche Ausmaße annähme, und legte dann die Berichte in der untersten Schublade seines Schreibtisches ab. Danach entfernte er die Tasse und den Unterteller. Nun war alles so, wie er es gerne hatte, der Schreibtisch aufgeräumt bis auf eine einzige Lampe, ein Telefon, eine Ausgabe von
Mein Kampf
und seine Dienstwaffe. Einst hatte er Himmlers Schreibtisch genauso gesehen und sich sofort ungeheuer beeindruckt gezeigt. Wer nichts zu verheimlichen hatte, ließ alles einfach herumliegen und verriet so, was er trieb. Aber ein Mann, dessen Schreibtisch frei war, zeigte, daß er etwas zu verbergen, ja, Geheimnisse hatte und folglich Macht besaß.
    Es war auch Schmidts Idee gewesen, den Schreibtisch etwas zu erhö {204} hen, nur um ein paar Zentimeter, und ebenso seinen Stuhl. Selbst wenn es einem Besucher nicht bewußt wurde, daß der Kommandant wie ein erhabener Richter auf ihn herabblickte, so war die psychologische Wirkung doch enorm.
    Und

Weitere Kostenlose Bücher