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Nachtzug

Titel: Nachtzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood , Gareth Wootton
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Schreibtisch und starrte den alten Mann weiter an. Er schien irgendeine Rechnung aufzustellen. Schließlich meinte er: »Ich sehe keinen Grund, warum Sie nicht gehen sollten. Sie sollen Ihre Auszeichnung bekommen.«
    Professor Korzonkowski ließ die Schultern sinken, als falle jede Anspannung von ihm. »Danke schön, Herr Hauptsturmführer«, atmete er auf.
    »Sie haben ein äußerst fruchtbares Leben geführt. Ich gewähre Ihnen Ihre Reise.« Schmidt stand auf und fixierte den alten Mann weiterhin mit seinem kalten, abweisenden Blick. »Sie haben wirklich Grund zu feiern. Jemand, der so herausragend ist wie Sie und mit seinem Wissen seinem Land dient. Wahrlich, das muß belohnt werden.« Schmidt zog die obere Schublade seines Schreibtisches ein wenig heraus. »Sagen Sie, Herr Professor, mögen Sie Schokolade?«
    Der alte Mann war völlig fassungslos und geriet fast aus dem Gleichgewicht. »Wie bitte? O ja, natürlich, ich mag Schokolade.«
    »Und es ist so schwierig, welche aufzutreiben, nicht wahr? Möchten Sie ein Stückchen?« Schmidts Finger glitten nach unten zu einer Schachtel, die in buntes Papier eingewickelt war. »Sie kommt aus Holland. Milchschokolade mit Mandeln.«
    Der alte Mann strahlte jetzt. »Wie nett von Ihnen, Herr Hauptsturmführer!«
    »Ich möchte, daß Sie die Augen schließen und den Mund öffnen. Und dann sagen Sie mir, ob Ihnen die Schokolade schmeckt.« Der alte Professor stand vor dem Gestapo-Mann, die Hände an den Hüften. Er öffnete den Mund wie ein kleiner Vogel, der mit einem Wurm gefüttert wird.
    Dann griff Dieter Schmidt schnell nach seiner Waffe, steckte sie in den Mund des alten Mannes und zerfetzte ihm den Hinterkopf.
    {207} Als sie zu Szukalski kam, saß er an seinem Schreibtisch und hielt ein Blatt Papier in der Hand.
    »Maria, wir haben schlechte Neuigkeiten. Die Deutschen haben vor zwei Tagen Dr. Zajaçkowski geholt.«
    »O nein.« Sie ließ sich in einen der Sessel zurückfallen und faltete die Hände in ihrem Schoß. Sie bemerkte, wie Szukalski im grellen Licht des Nachmittags älter als dreißig Jahre wirkte.
    »Sie haben ihn in der Nacht geholt«, erklärte er, »und seine Familie hat seitdem nichts von ihm gehört. Sie erwarten auch nicht mehr, je noch etwas von ihm zu hören.« Ludwig Zajaçkowski, ein älterer Herr, schlicht und einfach in seiner Lebensführung, hatte in einem kleinen Dorf zwanzig Kilometer nördlich von Sofia gewohnt, ungefähr dort, wo Weichsel und San zusammenfließen. Er war für die abgelegenen Höfe und verstreuten Dörfer im Tal der Weichsel zuständig gewesen und hatte seine Pflicht fast dreißig Jahre lang mit Hingabe und fachlichem Können erfüllt. Und nun war er in den Händen der Gestapo.
    »Aber warum denn?« Dr. Duszynska kannte Dr. Zajaçkowski. Sie hatte als Chirurgin oft mit ihm in seinem Bezirk zusammengearbeitet.
    »Ja, warum?« gab Szukalski zurück. »Sie behaupten, daß er versucht habe, Informationen über die Konzentrationslager zu sammeln und zu verbreiten.«
    »Und stimmt das, Jan?«
    »Ich weiß nicht. Ludwig war immer ein Freund offener Worte. Ich bin sicher, daß er aufgeschrien hätte, wenn er von Auschwitz und Treblinka Wind bekommen hätte. Armer alter Narr!«
    »Und jetzt?«
    »Ich weiß nicht. Der Mann, der mir die Nachricht überbrachte, berichtete mir, wie er aufgeschnappt habe, was einer der Deutschen zu Ludwig gesagt hat: Wenn ihm so sehr daran gelegen sei, etwas über Konzentrationslager zu erfahren, dann würden sie ihm die Gelegenheit geben, eines dieser Lager kennenzulernen und es aus der Nähe zu studieren.«
    »O mein Gott …«
    »Sie werden wohl auch von dem alten Professor Korzonkowski gehört haben. Er hat früher an der Hochschule Chemie unterrichtet. Er soll gestern zu Schmidt gegangen sein, um eine Reisegenehmigung nach Warschau zu beantragen.«
    {208} »Und?«
    »Er ist nicht wieder zurückgekehrt.«
    »Jan! Ich habe fast den Eindruck, daß uns Dieter Schmidt in einen Aufstand treiben will, um einen Vorwand zu haben, uns alle zu ermorden.«
    Szukalski schüttelte finster den Kopf.
    »Doch eines verstehe ich nicht, Jan: Dieter Schmidt haßt Sie mehr als jeden anderen, aber warum hat er sich noch nicht an Ihnen vergriffen? Warum hat er Sie nicht verhaftet, gedemütigt und hingerichtet? Sie wissen doch, wie gerne er das täte.«
    »Ich denke, daß er mich braucht.« Szukalski lachte kurz und trocken.
    »Es ist schon ziemlich paradox: Auf der einen Seite würde er mich am liebsten liquidieren,

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