Nachtzug
andererseits liegt ihm an meinem Überleben.«
»Wie meinen Sie das?«
»Der Grund ist ganz einfach der, daß ich Arzt bin. Schmidt mag ein Monster sein, aber er ist nicht so dumm, daß er sich und seine kleine Armee um die Möglichkeit ärztlicher Hilfe bringt. Maria, Sie und ich sind im Umkreis von vielen Kilometern die einzigen Ärzte hier, von einigen Militärärzten einmal abgesehen.«
»Dann sind Sie ja sicher vor ihm.«
»Leider nein. In Schmidts abartigen Überlegungen bin ich ein guter Wachhund, der auf den Hof aufpaßt. Ein räudiger, übler Köter vielleicht, aber wenigstens einer, der für Sicherheit sorgt. Aber« – Szukalski hob einen Finger – »wenn der Hund nur einmal seinen Herrn beißt, dann wird er ihn schnell aus dem Weg schaffen. Und ich glaube, daß Schmidt nur darauf wartet, daß ich eines Tages einen Fehler mache, damit er mir die Schlinge um den Hals legen kann. Und meiner Frau und meinem Sohn dazu.«
Dr. Duszynska schauerte, und zu Szukalskis Überraschung ergriff sie seine Hand und blickte ihm direkt in die Augen. »Es ist alles ein Alptraum«, meinte sie ruhig. »Und es gibt keinen Weg, ihn zu beenden.«
»Nein, doch erleichtern können wir unser Schicksal schon, und genau das versuchen wir ja. Mit der Epidemie. Aber wir müssen noch mit einem anderen Problem fertigwerden.«
»Und das wäre?«
»Wie wir Zajaçkowskis Distrikt versorgen. Es ist ein weites Gebiet {209} mit vielen Menschen, die isoliert leben, und einigen wenigen, überall verstreuten Siedlungen. Man wird dort medizinische Versorgung benötigen.«
»Das ganze Gebiet ist zu groß für uns, Jan.«
»Wir werden es versuchen müssen. Und gleichzeitig können wir dann einige Proteinbehandlungen durchführen.«
Dr. Duszynska nahm dieses Vorhaben skeptisch auf. »Sie wollen sagen, wir sollten die Epidemie so weit verbreiten?«
Szukalski lächelte spitzbübisch. »Warum nicht? Die Annahme, daß sich die Seuche so weit ausbreitet, ist doch nicht so unlogisch. Außerdem: je größer das Quarantänegebiet, desto besser.«
Sie dachte über sein Vorhaben nach und entgegnete dann: »Sie haben sicherlich recht; und jetzt, wo wir tiefsten Winter haben, ist die Zeit am besten. Die Gesundheitsbehörden werden um so weniger zweifeln, je mehr sich unsere Epidemie im Winter verbreitet, wo Seuchen ja sowieso gehäuft auftreten.«
»Ich möchte gerne, daß wir die Verhaftung Dr. Zajaçkowskis zu unserem Vorteil nutzen. Wenn man ihn nicht abgeholt hätte, hätten wir nicht die Gelegenheit bekommen, das befallene Gebiet zu erweitern. Jetzt ist es möglich. Es lindert den Schmerz über seine Verhaftung, wenn man weiß, daß er damit unserem Plan gedient hat.«
Eine Zeitlang saßen sie schweigend und starrten auf die Staubkörnchen im goldenen Sonnenlicht, das durch das Fenster fiel. Beide schöpften einen kurzen Augenblick Trost aus ihren ineinander gelegten Händen. Aber dann zog Szukalski plötzlich seine Hand zurück und durchbrach die Stille. »Ich werde gehen müssen«, meinte er bedrückt, »ich werde in Zajaçkowskis Gebiet gehen und tun, was ich kann.«
Maria starrte ihn aus ihren weit aufgerissenen, grauen Augen an und wußte, was er als nächstes sagen würde.
»Sofia und das Krankenhaus sind in Ihren Händen, während ich weg bin. Vielleicht drei oder vier Tage, höchstens eine Woche. Ich werde bis dahin so viele Leute wie möglich impfen. Nach sieben oder zehn Tagen werde ich dann zurückkehren und ihnen Blut für den WeilFelix-Test abnehmen und bei der Gelegenheit noch ein paar weitere impfen. Wenn wir so vorgehen, schätze ich, daß wir gegen Ende des Monats ungefähr tausend bestätigte Fleckfieberfälle haben werden.«
{210} Dieter Schmidt fuhr auf dem Rücksitz seines Mercedes-Kabrioletts stolz durch die Straßen von Sofia. Viele wußten nicht, daß er aus einer armen Familie in München stammte und ironischerweise der Sohn eines Metzgers war. Katholisch erzogen, war Schmidt nur allzu glücklich gewesen, daß er seine Prägungen aus der Kindheit während seiner militärischen Ausbildung allmählich abgelegt hatte. Nach seiner Berufung in die SS hatte er sich bereitwillig den neuen heidnischen Kulten hingegeben, die Reichsführer Himmler propagierte. Obwohl er seine Abstammung wie vorgeschrieben bis ins Jahr 1750 hatte belegen können und so den Nachweis erbracht hatte, daß er, rassisch gesehen, ein reiner Deutscher war, schämte sich Dieter Schmidt dennoch seiner Herkunft.
Er genoß die Ausfahrten in der
Weitere Kostenlose Bücher