Nachtzug
herum und sah, daß Pfarrer Wajda neben dem Waschbecken stand.
Keppler blickte erneut auf die breite Schüssel und das geöffnete Rasiermesser. Aus einem ihm unerfindlichen Grund fing er plötzlich an zu zittern.
»Hans«, fuhr Szukalski eintönig fort, »Dieter Schmidt hat mir gesagt, daß Sie bei Ihren Vorgesetzten Bericht erstatten müssen, sobald Sie von der Krankheit genesen sind.«
{198} »Ja, aber …«
»Ich kann nichts mehr für Sie tun, Keppler.«
»Aber ich werde nicht zurückkehren! Ich schwöre!«
Szukalski schüttelte den Kopf. »Ihre Chancen, einfach wegzulaufen, sind jetzt viel schlechter als noch vor zwei Wochen. Inzwischen haben Sie die Aufmerksamkeit Schmidts auf sich gezogen, er wird sich nach Ihnen erkundigen und fragen, wie es Ihnen geht, damit er Ihre Vorgesetzten informieren kann. Eine Flucht wäre jetzt sehr schwierig, wenn nicht sogar unmöglich.«
»Aber ich werde es versuchen!«
»Hans, ich habe den Eindruck, Sie verstehen nicht. Wir können nicht riskieren, daß Sie Sofia verlassen. Sehen Sie das denn nicht? Das Leben Tausender steht auf dem Spiel. Die Gefahr, daß Sie reden würden, können wir nicht akzeptieren.«
»Aber ich werde nicht reden!«
Keppler blickte auf die erstarrten Gesichter und spürte, wie er plötzlich weiche Knie bekam. Er fiel zu Boden und hielt sich dabei am Tisch fest. »Bitte lassen Sie mich gehen …«, flehte er.
»Wir haben versucht, Ihnen zu helfen, Keppler«, versetzte Szukalski düster. »Aber jetzt beginnen Ihre Probleme erneut. Nur daß Sie dieses Mal … Sie wissen einfach zu viel. Ihr Leben steht gegen das von Tausenden.«
Als Pfarrer Wajda mit grimmiger Entschlossenheit das Rasiermesser zückte und Dr. Duszynska ihren Rücken gegen die Tür drückte, sagte Jan Szukalski ruhig: »Wir drei haben bereits alles besprochen, Keppler. Besser ein Leben opfern als so viele andere. Es gibt nur eine Lösung für uns, an der kein Weg vorbeigeht. Keppler, um unseres Planes willen müssen Sie sterben …«
16
David hatte sich hingesetzt und vergrub das Gesicht in den Händen. Die anderen, die sich um das Lagerfeuer versammelt hatten, hörten, wie er murmelte: »Ich will dieses Mörderschwein umbringen!«
Moisze Bromberg blickte den Jungen besorgt an. Dann meinte er ru {199} hig: »David, du hättest nicht nach Sofia gehen dürfen, nicht am hellichten Tag.«
David blickte ruckartig auf, seine Augen funkelten, Tränen rannen ihm übers Gesicht. »Und warum nicht!« rief er. »Habt ihr etwa gedacht, ich warte, bis ihr sagt, ich kann gehen?«
»Es war zu gefährlich …«
»Es ist niemals ungefährlich, Moisze! Ich bin es leid, immer nur herumzusitzen und nichts zu unternehmen, während jeden Tag immer mehr unserer Brüder umgebracht werden!« Davids Stimme wurde schrill und klang von den Höhlenwänden wider. »Es waren unschuldige Menschen, Moisze! Was hatten sie denn schon getan? Mein Gott, sie haben doch nur Essen gestohlen! Sie sahen aus, als seien sie gefoltert worden. Bestimmt von Schmidt, der etwas über uns erfahren wollte. Verstehst du denn nicht? Versteht denn keiner von euch?«
»Doch, ich«, erklang eine sanfte Stimme.
David blickte in das zarte Gesicht Abrahams und mußte sich zusammennehmen, um nicht zu weinen. Ja, dachte er traurig, du verstehst mich, mein Freund. Und Leokadja auch. Aber die anderen alle … David ließ seinen Blick anklagend über die Runde schweifen. »Wie könnt ihr einfach nur so herumsitzen und den Dingen ihren Lauf lassen?«
Matuszek betrachtete seine breiten Hände und seufzte bedrückt. »David hat recht. Wir müssen etwas tun.«
Aber Antek, der polnische Soldat, der gewöhnlich wenig sprach, meinte: »Ich bin nicht einverstanden, Brunek. Ich denke, wir sollten uns trennen und uns eine Zeitlang in die Berge zurückziehen.«
Der Hauptmann schaute ihn einen Augenblick an und wandte sich dann an Moisze. »Was ist deine Meinung?«
»Als Esther und ich die Höhle entdeckten, dachten wir nur daran, uns zu verstecken. Wir wollten uns retten, denn wir waren keine Kämpfer. Aber« – er schüttelte unsicher den Kopf – »vielleicht hat David recht. Wir sollten weiterhin mit aller Härte und Entschlossenheit gegen die Nazis vorgehen, solange es uns möglich ist. Den Deutschen nur dann und wann einen Nadelstich zu versetzen, käme passivem Widerstand gleich, was mir als Reaktion nicht ausreichend zu sein scheint.«
{200} David schnaubte verächtlich. »Passiver Widerstand, das ist ein Widerspruch in
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