Nackige Engel
übernehmen täte.
Stan bekam an Ort und Stelle einen Wutanfall.
– Ich mach euch alle fertig, schrie er.
Er riss sich die Krawatte vom Hals und schmiss sie in einen der dort aufgestellten Abfallkörbe.
Natürlich kam es, wie es kommen musste. Innerkofler, so hieß es, werde das Depot in Pacht nehmen. Ein detaillierter Nutzungsplan werde nachgereicht. Dazu kam es jedoch nie. Innerkofler wurde in einen Autounfall verwickelt. Er überquerte nachts die Straße, um in seinen auf der anderen Seite geparkten Wagen einzusteigen. Dabei wurde er von einem größeren Fahrzeug erfasst. Der Fahrer des Unfallautos flüchtete. Innerkoflers Verletzung war zwar nur kurzzeitig lebensbedrohlich, führte aber dazu, dass er geschäftlich längere Zeit aus dem Spiel war.
Stans Wut wandelte sich nach und nach in strahlende Zuversicht. Er baggerte die Verkehrsbetriebe noch einmal an. Diesmal war er gewappnet. Mit dem Haus seiner Erbtante verschaffte er sich eine Bankbürgschaft.
Jetzt wurde auch unser Konzept wieder interessant. In dieser Zeit fiel er mir dauernd mit seinem neuen Credo auf die Nerven.
– Auftreten ist die halbe Miete. Der Rest sind Beziehungen. Das habe ich jetzt gelernt.
Was Stan da hinter den Kulissen werkelte, war mir unheimlich geworden. Ich blickte nicht mehr durch, wer wofür bürgte oder Geld gab. Trotzdem wäre ich noch einmal bereit gewesen, mich in die Sache reinzuhängen. Ich wartete aber auf Klärung, Stan auf Impulse. Schließlich stellte er mich wegen meiner Schlappschwänzigkeit zur Rede. Füllhörner gebe es nicht, man müsse sein Glück zwingen.
– Nichts, was ich erreichen möchte, soll zu mir hergeprügelt werden müssen, antwortete ich.
Ich dachte über alles nach. Genau genommen war ich schon längst Juniorpartner geworden. Weder hatte ich Geld auftreiben können, noch konnte ich Beziehungen in die Waagschale werfen. Stan war mein Freund und Partner, und nur deshalb dackelte ich hinter ihm her.
Dann kam einer der schlimmsten Tage in meinem Leben. Ich fuhr mit unserem Bus über Land, um Möbel abzuholen. Draußen auf der Bundesstraße platzte der Vorderreifen. Als ich unter dem Auto lag, bemerkte ich, dass an einem nur mehr lose befestigten Bodenblech ein grauer Stofffetzen mit Knopf hing. Ich puhlte ihn heraus und besah ihn genau. Der Knopf war aus Hirschhorn und offenbar so fest angenäht, dass mit ihm ein Triangel aus dem zugehörigen Kleidungsstück herausgerissen worden war.
Natürlich dachte ich sofort an Innerkofler, den Unfall und die für uns glückliche Wendung, die das Depotprojekt dadurch genommen hatte. Ich hätte das Stoffstück nur zur Polizei bringen müssen, um die Sache endgültig zu klären. Aber einen Freund und Partner hängte man nicht hin. Stan zur Rede zu stellen, schaffte ich nicht. Ein Leugnen hätte ich ihm nicht abgenommen. Mit einem Geständnis hätte er meine Komplizenschaft eingefordert.
Wie von einem Giftpfeil getroffen, schleppte ich mich durch die nächsten Tage. Schließlich entschied ich mich, ihn gewähren zu lassen. Ich wollte nur insofern reinen Tisch machen, als ich mich aus unseren Projekten und von ihm verabschiedete. Vielleicht wäre es ohnehin so gekommen, denn Stan war der Chef und die treibende Kraft. Dennoch überraschte mich die Heftigkeit seiner Reaktion. Er schalt mich einen Verräter und die größte Enttäuschung seines Lebens. Mit meiner Trotteligkeit und Untüchtigkeit war ich zu seinem gutem Gewissen geworden; alles, was er tat, glaubte er auch für mich tun zu müssen. Als ich mich aus diesem Spiel zurückzog, schlug seine Fürsorge in Hass um. Dieses letzte Gespräch endete in einer Prügelei, die ich nur durchstehen konnte, weil ich das Recht auf meiner Seite wähnte.
Wie durch einen Fleischwolf wurde ich durch diese Erinnerungen hindurchgequält. Um sechs Uhr früh beendete ich das traurige Spektakel meiner Schlafversuche, kämpfte mich aus dem Bett und schleppte mich tranig in den Tag. Als Erstes ging ich an meinem Schreibtisch hinüber. Dort, in einer Schublade, hatte ich in einer Plastikbox immer noch dieses Corpus Delicti, Stofffetzen und Hirschhornknopf. Ich holte sie hervor, besah sie und versank wieder in dieses brütende Sinnieren, bei dem sich Erinnerungen in dumpfe Phantomschmerzen verwandeln. Schließlich schmiss ich das Ding in die Schublade zurück und setzte mir in der Küche einen Kaffee auf.
Ich süppelte das heiße Gebräu und hörte das Morgenradio. Man verhandelte Gesundheitstipps, genau richtig für einen
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