Nackige Engel
anderen Zimmer angeordnet. Von den breiten Fenstern aus hatte man einen schönen Ausblick auf das Freibad und die Isar. Wer das sein Eigen nennen konnte, hatte es zweifellos zu etwas gebracht. Wolfertshofer trug einen mit japanischen Schriftzeichen bedruckten Morgenmantel und sah aus wie ein Sumoringer. Allerdings steckten seine Füße in ausgelatschten Filzpantoffeln. Auch die dicht behaarten Beine und die käsige Haut passten nicht ins Bild.
– Erzähl, was los war!
Wolfertshofer zeigte eine hilflose Miene und blickte flehentlich himmelwärts.
– Drohbriefe könnte ich dir zeigen! Dass sie einen Trupp zusammenhaben, der mir den Schädel einhaut. Dass eine solche Zecke wie ich einfach zerquetscht gehört.
– Will ich gar nicht sehen, ich will nur wissen, was heute passiert ist.
Er zeigte mit dem Finger auf mich und verengte seine Augen zu Schlitzen, um unerbittliche Präzision zu signalisieren.
– Ein Anruf. Männlich. Man wird mir die Tür eintreten und mich in alle Einzelteile zerlegen. Und genau darum geht es: Ich kann jetzt nicht allein bleiben, das halte ich nicht aus.
– Und die Nummer? Hast du die Nummer notiert oder in deinem Telefonspeicher?
Verblüfft sah er mich an. Ich war sicher, dass er nicht daran gedacht hatte.
– Soll ich mal nachsehen?, fragte ich.
– Nein, bringt nichts. Unbekannt. Genau: Die Nummer war unterdrückt.
Ich fand seine Schilderung ziemlich vage. Irgendetwas stimmte da nicht.
– Bist du sicher, dass das alles ist? Denk mal nach!
Er nickte heftig.
– Mehr war nicht. Aber mir reicht’s!
In jedem anderen Fall hätte ich nachgebohrt. Aber vollkommen fraglos hatte er Angst. Und zwar heftig. Da war nichts gespielt, und das gab den Ausschlag, ihm zu glauben. Denn auch sonst wirkte er derangiert und fahrig. Ständig drehte und zwirbelte er seinen Schopf, bis das Haar in Büscheln abstand, oder er schob die Frühstücksbrösel auf dem Küchentisch zu neuen Formationen zusammen. Einkaufsquittungen und Notizzettel, die neben dem Kühlschrank lagen, fing er an in Schnipsel zu reißen. Offenbar gelang es ihm nicht, seine Finger ruhig zu halten. Ihn so zu sehen, berührte mich seltsam. Die Tage zuvor hatte er eine bewundernswerte Kaltblütigkeit gezeigt, aber jetzt hatte ich ein Nervenbündel vor mir. Einen wirklich klaren Kopf behielt auch ich nicht, denn von Anfang an lastete das Gefühl auf mir, an seinem zerrütteten Zustand schuld zu sein. Ich hatte ihm diese Sache eingebrockt.
Er angstgesteuert, ich von Schuldgefühlen geplagt – wie der Blinde und der Lahme tasteten wir uns nun in einer fast behindert zu nennenden Kommunikation vorwärts. Dabei redete er ohne Punkt und Komma. Er erinnerte mich an ein Kind, das im Bett liegt und gegen das Lichtlöschen und Schlafenmüssen anerzählt. Er begann bei dem Dorf, in dem er aufgewachsen war, schilderte seine Eltern, seine missglückten Schulversuche, seine erste Bühnenerfahrung, wie er sich durchsetzte, wie er an seine Stoffe kam. Er umschrieb ein ganzes Lebenspanorama, zu dem ich nicht mehr beizutragen hatte, als zustimmend zu grunzen und zu nicken. Ehrlich gesagt, machte mich dieser Redefluss müde, aber wenigstens schuf er damit einen Rahmen, in dem es noch etwas anderes als unser Unwohlsein gab.
Später entschloss er sich dann doch noch, statt des Kimonos normale Alltagskleidung anzuziehen. Er verschwand in sein Zimmer, und ich setzte einen Kaffee auf. Außerdem versuchte ich, ein wenig Ordnung in die Bude zu bringen, um mich nützlich zu machen. Der versiffte Küchentisch mit dem Altgeschirr, den Bröseln und Schnipseln störte mich. Wie ein Maulwurf hatte Wolfertshofer seine Dreckhügel über die ganze Küche hinweg aufgeworfen. Beim Anblick dieses Verhaus schien einem die Welt noch chaotischer und komplizierter, als sie es ohnehin schon war. Beim weiteren Aufräumen stieß ich auf eine Autogrammkarte, die auf dem Boden lag. Ich dachte an Emmas Bitte und steckte die Karte ein. Als Wolfertshofer dann in Hosen und einem frischen Hemd zurückkam, sah die Küche schon wieder ganz adrett aus. Auch er wirkte nun gefestigter und schien sich fürs Erste gefangen zu haben. Meine Putzbemühungen quittierte er mit der Bemerkung, er könne nichts dafür, dass er ein Saubär sei.
Am Nachmittag sagte ich, ich müsse nun einmal nach meinem Geschäft sehen. Er wirkte erschrocken.
– Wäre es nicht doch besser, die Polizei zu verständigen?
Heftig schüttelte er den Kopf.
– Morgen und die nächsten Tage spiele ich wieder. Da
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