Nackige Engel
Essen.
Er rieb sich die Hände und griff entschlossen nach dem Telefon, um zu Hause Bescheid zu geben, dass er leider nicht zum Abendessen kommen könne. Die stilsichere Intonation von Entschuldigungs- und Trostworten hatte er offenbar beim Blockflöten gelernt.
Er legte den Hörer so gefühlvoll auf die Gabel, als würde er den Deckel einer Schmuckschatulle schließen. Erst dann wendete er sich mir triumphierend zu.
– So!
Gleich danach rief er in der Kantine an.
– Habt ihr noch irgendwas? Nur eine Kleinigkeit.
Fragend deutete er auf mich.
Ich nickte.
– Also gut, sagte er, zweimal Schweinswürstel mit Kraut. Versöhnt mit sich und der Welt faltete er die Hände.
– Stärken wir uns erst einmal.
30
Bei aller Kommodheit, die Dieselhofer ausstrahlte, durfte man nicht den Fehler machen, ihn zu unterschätzen. Er kannte seinen Fall in allen Details und gab bei Unklarheiten keinen Fingerbreit nach. Dabei drohte er nie, er verstand es vielmehr, mich als Verbündeten mit hineinzuziehen.
– Schauen Sie, Herr Gossec, natürlich möchte ich Sie heute nach Hause schicken. Aber so reicht das doch nicht. Da müssen Sie mithelfen und noch ein bisschen was drauflegen.
Normalerweise war ich in solchen Vernehmungen eher zurückhaltend und sagte lieber zu wenig als zu viel. Aber Dieselhofer erzählte man jede Kleinigkeit, sogar solche, die man selbst nicht einordnen konnte, in der Hoffnung, sie möchten wenigstens ihm nützen. Er wiederum honorierte das, indem er keine Spielchen trieb. Man hatte in Wolfertshofers Wohnung jede Menge Spuren gefunden, die meine Anwesenheit belegten. An seiner Kleidung und seinem Körper war jedoch nichts von mir. Sein Peiniger war definitiv ein anderer gewesen. Mit dieser Information im Rücken tat ich mich wesentlich leichter, alles auszupacken.
– Gestorben ist er letztlich an Herzversagen, sagte Dieselhofer.
Er kramte in seinen Papieren.
– Um es genau zu sagen: kardiogener Schock. Ansonsten einige Hämatome. Der wurde regelrecht traktiert. Als hätte man etwas aus ihm herauspressen wollen.
– Und die Blutspritzer!
– Nasenbluten vor allem. Das wäre nicht so schlimm gewesen.
– Dass man seinen Körper wie ein Hakenkreuz drapiert hat?
Dieselhofer wiegte den Kopf.
– Zufall. Das mit den Neonazis können Sie vergessen. Passt schon von der Tat her nicht. Die treten doch immer im Pulk auf, Schläger, die pöbeln und prügeln. Ihre Fahne, ihr Abzeichen tragen sie vor sich her, schreien ihre Parolen. Jeder soll mitkriegen, dass sie das waren. Aber das heimliche Abrechnen ohne jedes Bekennertum, ohne Auffälligkeiten, das wäre total untypisch.
Er goss sich einen Kaffee aus der Thermoskanne ein.
– Machen wir weiter.
So durchpflügten wir die zurückliegenden Tage. Endlich kamen wir zu dem verschwundenen Bildband. Dieselhofer wurde ganz schmallippig, als ich auf Eyerkauff zu sprechen kam. Er schmiss seinen Hängeordner auf den Schreibtisch und den Bleistift obendrauf.
– Die schon wieder! Und Sie glauben, Inspektor im Eichamt. Dass ich nicht lache. Eigene Stabstelle im Innenministerium! Nur dem Minister Rechenschaft schuldig. Wenn die verwickelt sind, kann ich den Fall wegschmeißen. Jedes Mal, wenn wir an den hinermitteln, werden wir zurückgepfiffen. Keine Chance, aber absolut keine!
– Geheimdienst?
Er zuckte die Achseln.
– Wir würden sagen: Task-Force. Einsatz immer dann, wenn es brennt.
– Aber Wolfertshofer hätte doch nie mit dem Innenministerium zusammengearbeitet!
Kopfschüttelnd sah Dieselhofer mich an.
– Oh mei, Gossec. O sancta simplicitas!
Ich wusste nicht mehr, was ich sagen sollte. Genau genommen geriet ich ins Stottern.
– So einen Wolfertshofer halten sich die Herren gern als Hofnarren. Ein Kabarettist weiß doch gar nicht, was da draußen los ist. Und schon gar nicht, was da oben läuft. Dem schmeißen sie einen Brocken hin: Hören Sie her, Wolfertshofer, ich erzähle Ihnen mal eine Riesensauerei! Schon glaubt der das und apportiert wie ein Hunderl. Und die klopfen sich auf die Schenkel und amüsieren sich köstlich.
– Ach Schmarren!
Dieselhofer zuckte die Achseln.
– Glauben Sie doch, was Sie wollen. Erzählen kann ich Ihnen sowieso nicht alles. Aber wenn Sie sozusagen Richtung Eyerkauff privat weiter ermitteln und was finden würden . . .
Er warf mir einen prüfenden Blick zu. Ich wiegte den Kopf.
– . . . das täte ich zu gern wissen, was die da so treiben. Von unserer Seite aus ginge das klar. Passive Unterstützung,
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