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Nackt unter Wölfen

Nackt unter Wölfen

Titel: Nackt unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Apitz
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eine gut getarnte Luftzufuhr konstruiert. In diesen Lattenkäfig kroch einer der Bedrohten. Das Versteck wurde durch aufgeschichtete Kohlen unkenntlich gemacht. Im Kartoffelkeller der Küche war es einfacher. Hier genügte es, eine große Kiste unter den Kartoffelberg zu schieben. Die Entlüftungsanlage des Kellers sorgte für Atemluft. Als Krämer später durchs Lager ging und zur Nacht abpfiff, war die Aktion allerorts beendet. Sämtliche Todeskandidaten waren verschwunden. Matt an Nerven und Gliedern, betrat Krämer dann den Block 3 der Kommandierten, auf dem er seine Schlafstatt hatte. Die hier untergebrachten Häftlinge waren noch nicht schlafen gegangen. VollerSpannung umringten sie Krämer, der sich schwerfällig auf die Bank am Tisch niederließ.
    »Hat es geklappt?«, fragte Wunderlich. Krämer antwortete nicht. Er knotete die Verschnürung seiner Schuhe auf. Sein Schweigen hatte etwas Mürrisches an sich. Doch die Häftlinge kannten ihn viel zu gut, um sein Verhalten nicht zu missdeuten, das nur die Reaktion auf die vorangegangene Anspannung war. Erst nach einer Weile sagte Krämer: »Wenn wir den Tag morgen gut überstehen …« Der Rest ging unter in einem schweren Seufzer. Krämer schob die Schuhe unter die Bank. Wunderlich stand vor ihm. »Ob es stimmt, weiß ich nicht, Walter, aber oben erzählen sie sich, dass morgen die Evakuierung losgehen soll …« Krämer sah Wunderlich fragend an, der zog unbestimmt die Schultern hoch. Keiner der Häftlinge, die Krämer umstanden, sprach. Was sie empfinden mochten, drückte sich in ihrem Schweigen aus. Woher auch hätten sie Worte nehmen sollen, um das Unbegreifliche zu sagen? Nicht die Evakuierung selbst machte die Menschen stumm, sondern die kaum vorstellbare Tatsache, dass die bevorstehenden Ereignisse das Ende in sich bargen. Wie viele tausend Tage und Nächte hatten erst in die Zeitlosigkeit ihres Lagerdaseins versinken müssen, damit eine einzige Nacht urplötzlich den Strom ins Nichts blockieren konnte? Weil dafür die Vorstellungskraft nicht ausreichte, war auch die Sprache zu arm. Selbst Krämer fand kein Wort, welches groß genug war, das Unvorstellbare auszudrücken. »Einmal muss es ja kommen …«, sagte er nur, als er sich erhob und die Jacke ablegte. Da sich nichts weiter sagen ließ, meinte Krämer: »Gehen wir schlafen, es ist das Beste …«
    Noch lange wälzte sich Bochow in dieser Nacht ruhelos auf seinem Lager. Nun war es geschehen. Unter ihm in der Fundamentgrube befand sich Runki, und an vielen heimlichen Orten des Lagers die Übrigen. Nun war es geschehen,unwiderruflich und nicht rückführbar. Aus
seinem
Mund war der Entschluss zum Aufstand gekommen, folgenschwer und ebenso unwiderruflich! – Bochow schloss die Augen und befahl den Schlaf herbei, der ihn narrte. Er horchte in sich hinein. Habe ich Angst? Zittere ich? Was ist? Haben sich nicht die Hände der Genossen in eins zusammengefunden? War nicht sein Wille zum Willen aller geworden? Aller! Das waren 50   000 und nicht nur die paar Genossen des ILK! Würden deren wenige Hände ausreichen, die Last der Verantwortung auf alle zu verteilen? Oder würden abertausend Finger auf ihn weisen: Du trägst die Last! Du ganz allein! Aus
deinem
Munde kam das Wort! Du bist schuld! … Bochows Gedanken verwirrten sich, aber er straffte sich. Ausgesprochen hatte er nur, was für alle {… für alle} unausweichliche Notwendigkeit war! – Und trotzdem, der Schlaf floh von ihm. Die Nacht wollte nicht weichen. Sie hockte ihm auf der Brust wie eine schwarze stumme Gestalt …
     
    Es war der 4. April 1945, ein Mittwoch, der im Dämmer des Morgens erwachte. Die Tür des Blocks 3 öffnete sich. Krämer trat heraus. Die Luft war feucht und hart. Es nieselte. Die frühe Morgenstunde löste sich nur schwer von der Schwärze der Nacht. Starr standen die Wachtürme. Die roten Lampen am Draht glühten verschwiegen wie heimlich beobachtende Augen. Breit und leer dehnte sich der Appellplatz. Ganz oben bleichte das Torgebäude auf. Die Bäume des verbliebenen Waldes rund um das Lager ragten schwarz und steif im Dämmer zwischen Nacht und Morgen. Krämer schlug fröstelnd den Mantelkragen hoch und zog die Signalpfeife aus der Tasche. – {Nun also, dachte er, mag dieser Tag beginnen.}
    Der schrille Pfiff des Weckens erschreckte die Stille. Krämer stapfte durchs Lager. Die Häftlinge der Küche, die noch früher den Tag beginnen mussten, nahmen das Wecksignalals Zeichen entgegen, die Kaffeekübel

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