Nackt unter Wölfen
Solange der Mandrill draußen tobte, konnten sie sicher sein, dass er sie durch den Spion nicht beobachtete. Darum taten sie vorsichtig ihre Schultern aneinander, um sich zu stützen. Als draußen aber Ruhe eingetreten war, mussten sie sich voneinander lösen, und nun standen sie schon lange. Stunden um Stunden. Die Kraft verzehrte sich. Der Schmerz der Erschöpfung saß ihnen wie Messer im Rücken. Immer wieder musste sich Höfel hochreißen, dennoch fiel er aufs Neue in sich zusammen.
Er wimmerte hilflos in sich hinein, hatte keine Kraft mehr, zu denken. Kropinski, der selbst die Reste seiner Energie verbrauchte, versuchte zu trösten.
»Bald wird sein Appell, und wir können schlafen. Viel schlafen und tüchtig schlafen.« Höfel nahm den Trost nicht mehr an. Er zerfiel immer mehr.
»Ich mache Schluss«, wimmerte er, »ich hänge mich auf … es hat keinen Zweck mehr …« Kropinski erschrak, er bettelte flehend: »Nicht, Bruder, nicht. Noch ein bisschen, und ist bald Appell.« Höfel stöhnte. Der Kopf sank ihm vornüber, in den Adern grimmte das ausgelaugte Blut, und der Körper schaukelte und schwankte. Auf einmal flüsterte Kropinski:
»Du hören! Draußen! Wer spricht?« Höfel, aus seinem Hindämmern erwachend, hob den Kopf, hörte Kommandos. Das war Krämers Stimme … Zum ersten Male, seit er im Bunker saß, vernahm er sie wieder. – Losgerissen von der Gemeinschaft der Freunde im Lager, alleingelassen in grausamer Hilflosigkeit, saugte Höfel den heimatlich-vertrauten Klang der Stimme in sich ein. Von jedem Wort, das Krämer draußen sprach, nahm Höfel einsamen Abschied, inbrünstig liebend.
Doch dann wurde seine Aufmerksamkeit wacher und heller. Er hörte den Kommandanten sprechen. Höfels Augen weiteten sich.
»Marian?«
»Tak?«
»Es wird nicht evakuiert. Das Lager wird übergeben …«
»Ist wahr?«
»So hör doch …!«
Höfel war voller Spannung. »Wenn das wahr ist«, flüsterte er erregt, »wenn das wahr ist …« Kropinskis Gesicht überzog sich mit einem Schein.
»Mutter Gottes«, hauchte er, und seine Worte waren wie ein dünner Faden, »wir dann – vielleicht – nicht sterben …?«
Vor der Schreibstube diskutierten die erregten Blockältesten noch lange. Der Kommandant hatte sie mit seiner seltsamen Ansprache durcheinandergebracht. Ihre Meinungen über die Echtheit seiner Versicherungen durchkreuzten sich und gerieten in Unordnung. Obwohl kaum einer von ihnen glauben mochte, was der Kommandant versprochen, klammerten sie sich dennoch – aus dem menschlichen Bedürfnis nach Sicherheit heraus – an die vage Hoffnung, dass das nahende Ende ohne Gefahr vorübergehen möge. Vielleicht wurde das Lager wirklich dem Amerikaner unversehrt übergeben? Andere Blockälteste lachten über die Hirngespinste. Mit seiner Ansprache hatte ihnen der Kommandant nur Sand in die Augen gestreut.
Krämer, inmitten des Haufens der Erregten, hätte das Gewirr der Meinungen mit ein paar Worten klären können.
Gleich jener Gruppe der Zweifler hatte auch er die Demagogie des Kommandanten durchschaut, aber in ihrer Gesamtheit waren die Blockältesten nicht einheitlich gesinnt, und es gab unter ihnen so manche, deren politische und charakterliche Beschaffenheit zur Vorsicht mahnte. Darumkonnte Krämer das offene Wort, dessen die Situation gerade jetzt bedurfte, nicht sprechen.
Wie immer in solchen Fällen blieb er neutral: »Abwarten, Kameraden.« Zwei Blockführer kamen. »Was ist hier los?«
Einige Häftlinge, die sich neugierig unter die Blockältesten gemischt hatten, verkrümelten sich schleunigst. Krämer und die Blockältesten zogen die Mützen. »Wir waren am Tor. Der Kommandant hat mit uns gesprochen«, erklärte Krämer. »Das Lager soll übergeben werden«, riefen einige Blockälteste. Die Blockführer ließen sich nicht auf Diskussionen mit den Häftlingen ein. »Schert euch auseinander, dalli! In die Blocks!«, herrschten sie. Dem Befehl gehorchend, zerstreute sich der Haufen. –
Lustlos saß Zweiling am Schreibtisch. Die Sache mit dem Judenbalg war ihm schiefgegangen. Der schlaue Reineboth hatte ihm alle Figuren vom Brett genommen. Höfel und Kropinski saßen im Bunker. Pippig, den er sich als Ersatz für Höfel warmhalten wollte, war fort. Der Rest des Kommandos schlich seit dem Tage, da die zehn Mann nach Weimar gebracht worden waren, um ihn herum mit Gesichtern, von denen er deutlich ablesen konnte, was sie über ihn dachten. Am meisten zuwider war Zweiling die plumpe
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