Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nackt unter Wölfen

Nackt unter Wölfen

Titel: Nackt unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Apitz
Vom Netzwerk:
bereitzustellen. In den Blocks war es schon lebendig. Die Betten wurden gebaut. In den Waschkauen drängten sich die Häftlinge mit nacktem Oberkörper um die Waschpilze. Stubendienste riefen in das Gewirr: »Kaffeeholer raus!« Auf den Wegen zwischen den Blocks begann es sich zu regen. Holzschuhe trappten. Aus allen Richtungen des Lagers zogen die Trupps der Kaffeeholer zur Küche, stauten sich hier und formierten sich zur gewohnten Ordnung des Kaffee-Empfangs. Der Küchenkapo und seine Helfer riefen die einzelnen Blocks auf. Die Kübel klapperten. Lärm, Leben, Bewegung, eingespielt und diszipliniert seit Jahren und wie an jedem Tag. Heute aber überdeckte der Lärm des Morgens eine besondere Spannung. Nur gedämpft sprachen sie alle miteinander. So mancher Blockälteste war über Nacht verschwunden. Wie selbstverständlich übernahm der Blockschreiber oder einer der Stubendienste die Funktionen des Fehlenden. {Keiner der Häftlinge neugierte.} Alle wussten sie, was in der Nacht geschehen war, und wie in geheimer Verabredung ignorierten sie das Außergewöhnliche. Nur hin und wieder und nur so zwischendurch gab es eine hingeworfene Bemerkung: »Bin neugierig, wie es heute ausgehen wird …« Zwischen den Angehörigen der Widerstandsgruppen auf den einzelnen Blocks – jede Gruppe zusammen mit dem Vormann zählte nur fünf Mitglieder – war die Gemeinsamkeit in noch tieferes Schweigen eingebettet als sonst. Alarmstufe 2!
    Neben der militärischen Ausbildung war es die wichtigste Aufgabe der Männer des illegalen Apparats, in ständiger Einwirkung auf die Mitgefangenen Bewusstsein und Kameradschaftsgeist zu entwickeln. Das war nicht immer leicht gewesen. Unter der bunten Vielzahl der Menschen steckte mancher schlechte, manch einer, der feig war oder gar hinterlistig und nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht. So einer wollte »mit nichts« zu tun haben, begab sich selbst inIsolierung oder wurde von den anderen isoliert. Doch an diesem Morgen zeigte sich die Wirkung der Erziehungsarbeit und zeigte sich auch die Kraft der menschlichen Natur in Situationen, wo es galt, zusammenzustehen. Alle fühlten sich untereinander verbunden. Besonders auf den Blocks, wo es einen oder gar mehrere der verschwundenen Todeskandidaten gab, herrschte unter den Blockinsassen ein stilles Einverständnis: Einer für alle, alle für einen! Sie verbargen die leise Nervosität, von der sie befallen waren, spürten sie doch fast körperlich, dass der heutige Tag Entscheidungen bringen würde, und diese nicht nur der 46 wegen. Das nahende Ende schmolz das Bewusstsein aller in eins zusammen. Sosehr sie sich noch an persönlichem Mut, an Hoffnungen, Zuversicht oder Angst unterschieden, der heutige Morgen schweißte sie alle zusammen in der schicksalhaften Verbundenheit. Und als draußen das Licht des Morgens dämmerte und die Zeit des Appells herangekommen war, formierten sich die Züge, und der Marschtritt der Kolonnen, die Zug um Zug, Block um Block den Berg hinauf anrückten, war ein anderer als sonst. Dunkel, fester und entschlossener war der Tritt der Tausende, fest und entschlossen ihre Gesichter.
    Der Appellplatz füllte sich, das Riesenquadrat baute sich auf, Mann an Mann, schweigend und erwartungsvoll. Tausende von Augen waren nach oben gerichtet zum Tor, wo Reineboth das Stativmikrophon aufstellte, Weisangk, der Erste Lagerführer, erschien und wo die gehassten Blockführer, diese rüden und zynischen Gesellen, standen.
    Krämer gab die Bestandsmeldung des Lagers an Reineboth. Das Rudel der Blockführer zerstreute sich auf die einzelnen Blockkarrees, um zu zählen. Was geschah nun? 46 fehlten zum Appell! Das hatte es im Lager noch nie gegeben! Würde ein Sturm losbrechen? – Die Häftlinge hielten den Atem an. Sie horchten in das eigene Schweigen hinein, nachallen Seiten hin. Die Spannung war straff wie ein Stahlseil kurz vor dem Zerreißen. Warum brüllte kein Blockführer los? –
    Krämer, mit dem Rücken zu den angetretenen Blocks, stand auf seiner gewohnten abgesonderten Stelle und hatte das Empfinden einer ungeheuren Leere hinter sich, als stünde er ganz allein auf dem weiten Platz. Er prüfte sich selbst auf die Verfassung seiner Nerven und Muskeln. Wie ging das Herz? {Klopf – klopf – klopf …} Waren die Arme ihm schwer wie Blei? Gab es einen Druck in der Magengegend? Nichts von dem. Gleichmäßig atmeten die Lungen. Gut also. – Er wartete ab. Zwanzig Meter vor ihm wartete Reineboth auf den Rapport der Blockführer,

Weitere Kostenlose Bücher