Nackt unter Wölfen
Vertraulichkeit des Wurach. Vom ersten Tag an hatte dieser versucht, sich beim Kommando anzuschmieren. Doch die Kerle da draußen hatten einen viel zu feinen Instinkt, sie schienen das fremde Element unter sich sehr bald herausgeschnuppert zu haben und machten einen Bogen um Wurach und ließen ihn nicht an sich heran.
Seit Wurach ihm die Liste mit den 46 gegeben hatte, wurde er immer zudringlicher. Vor einer Stunde noch war er bei ihm im Zimmer gewesen.
»Wie ist es, Hauptscharführer, haben Sie mit dem Kommandanten gesprochen?«
Zweiling hatte ihn angezischt: »Kommen Sie nicht so oft zu mir, das fällt auf. Wenn es Zeit ist, wird sich schon was tun für Sie.«
»Ist aber nicht mehr viel Zeit, Hauptscharführer. Ich kann nicht im Lager bleiben. Wenn es mit der Liste rauskommt, dann schlagen sie mich tot.«
Dieser Mensch hing an Zweiling wie ein Klotz.
»Sie müssen mir helfen, Hauptscharführer. Ich habe Ihnen auch geholfen. Mit der Entlassung ist es Essig, daran glaube ich nicht mehr. Jeden Tag kann der Teufel hier losgelassen werden. Wollen Sie mich kaputtgehen lassen?«
Um den Zudringlichen loszuwerden, hatte ihm Zweiling die unsinnigsten Versprechungen gemacht. Er wollte ihn rechtzeitig aus dem Lager schaffen und ihn bei der Truppe unterbringen. Mit halbem Glauben hatte Wurach die Versicherungen entgegengenommen und sich in der Bedrängnis trotzdem an sie geklammert. Nun hockte Zweiling schon eine geraume Zeit hinter dem Schreibtisch und grübelte. Der Mund klaffte ihm auf, und die Zunge hing an der Unterlippe. Der Schlupf, den er sich hatte offenhalten wollen, war verstopft. Aus der Uniform, die er trug, kam er nicht mehr heraus. Mitgegangen, mitgefangen, mitge…
Zweiling war es nicht wohl zumute …
Draußen gab es Lärm. Ein Hinundherlaufen und Rumoren war zu hören. Zweiling schreckte hoch. Er trat rasch aus dem Zimmer und blieb verblüfft an der Tür stehen. Von den Häftlingen freudig begrüßt, standen die nach Weimar Verschleppten im Raum vor der langen Tafel. Sie wurden umarmt und gedrückt. Am überraschtesten gebärdete sich Wurach. Er griff nach jeder Hand und rief überlaut: »Großartig, Kumpels, dass ihr wieder da seid.«
Zweiling, mit einem faden Zug im Gesicht, stakte näher.
»Wo kommt ihr denn her?«
Die Häftlinge schwiegen betreten. Wurach machte sichzum Sprecher. »Die Gestapo hat sie laufenlassen, Hauptscharführer.« Dem peinlichen Schweigen war Zweiling nicht gewachsen, er fand sich in der überraschenden Situation nur mit einer vagen Bemerkung zurecht: »Da seid ihr also wieder … Lasst euch rasieren. Dreckig seht ihr aus.« Die Häftlinge antworteten nicht. Sie mochten ihre Freude mit dem da nicht teilen. Das wäre auch sonderbar gewesen.
Zweiling zog sich in sein Zimmer zurück. Eine ganze Weile hörte er auf das erregte Gelärm, fand sich in den Zusammenhängen nicht zurecht, die zu der überraschenden Entlassung geführt hatten. Plötzlich fiel ihm etwas ein. Er ging nach dem Schreibbüro hinüber, in dem sich die Häftlinge befanden. Sie nahmen bei seinem Eintritt Haltung an und verstummten. Zweiling stand vor Rose, der den Hauptscharführer noch mit der wilden Angst im Gesicht, in der er bisher gelebt hatte, anstarrte. Zweilings Augen wanderten über die stummen Häftlinge hinweg.
»Wo … ist denn der Pippig?«
Alle blickten zu Boden und schwiegen. Nur Wurachs Augen gingen verstohlen hin und her. Zweiling wandte sich Rose zu.
»Na, wo ist er denn?« Roses Gesicht verzerrte sich zu einer hässlichen, weinerlichen Grimasse. Er schluckte ein paarmal und öffnete den Mund zur Antwort. Da knackte es im Lautsprecher. Reineboths Stimme: »Zwei Leichenträger mit einer Bahre ans Tor!« Roses Gesicht veränderte sich, er stotterte: »Herr Hauptscharführer … ich … der Pippig … der …«
»Zwei Leichenträger mit einer Bahre ans Tor!«, wiederholte sich der Befehl. Die Häftlinge hoben die Augen zu Zweiling. Keiner sagte etwas. Rose schluckte. Zweiling schien zu begreifen. Er schob die Zunge vor.
»Wieso denn?«, fragte er blöd. Und nach einer Weile, da keiner ihm antwortete: »Na, so was …«
Er zuckte mit den Schultern und zog sich in sein Zimmer zurück.
Langsam und schwer bewegten sich die Häftlinge, und Rose, {der noch mit dem gleichen zerrissenen Gesicht dastand, hatte das Gefühl, als ob sie sich von ihm abwendeten.} »Ich … ich … kann doch nichts dafür …«{, sagte er kläglich.}
Die anderen beachteten seine hilflose Rechtfertigung nicht und
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