Nackt unter Wölfen
ein Kamerad aus Leipzig, der erst vor wenigen Tagen im Lager eingetroffen war. Seine Name war Kurt Höritzsch. Forster und Bargatzki hatten Kallweit mit einem Spaten niedergeschlagen, als sie sich auf dem Wege zur Baubude befanden, aus welcher sie den Frühstückskaffee für das Kommando holen sollten.
Sie hatten dem Erschlagenen die Waffen abgenommen und waren längst über alle Berge, als die Flucht entdeckt wurde.
Nun standen die 200 Mann des Kommandos Kläranlage auf dem Appellplatz und harrten ihrem Schicksal entgegen. Es waren schwere Stunden für das ganze Lager. Denn was der eine erlebte, litt der andere mit. Standartenführer Koch, der Lagerkommandant, kam, und wir verfolgten mit sorgenvollem Herzen die Vorgänge dort oben am Tor. Es hieß, er wolle jeden zehnten Mann des Kommandos erschießen lassen. Die bleierne Last, die auf uns allen lag, vergrößerte sich durch die Ungewissheit. Wir waren gewohnt, bei der Flucht eines Häftlings so lange auf dem Appellplatz zu stehen, bis der Flüchtling gefunden worden war. Wir hatten schon einmal 19 Stunden gestanden. Aber in diesem Fall war es etwas anderes. Hier gab es einen toten SS-Mann. Mit Stehen allein war es nicht abgetan, das fürchteten wir. Was also würde kommen? …
Das Kommando Kläranlage stand die ganze Nacht. Es erhielt
keine
offizielle Strafe. Kallweit wurde begraben und die beiden Flüchtlinge gesucht. Aber von dem Tag an waren die Unglücklichen, die in der Kläranlage arbeiteten, Todeskandidaten. Die SS nahm blutige Rache für den einen aus ihrenReihen. Täglich schleppten die Häftlinge der Kläranlage ihre Toten ins Lager, die erschossen, erschlagen und zu Tode getrampelt worden waren. Oder die auch ohne Misshandlungen, sondern einfach an den unmenschlichen Arbeitsleistungen, die jetzt gefordert wurden, zugrunde gingen. Kläranlage! Das Wort schmeckte nach dem Rauch, der aus dem Kamin des Krematoriums stieg. …
Zuerst wurde Bargatzki wieder eingefangen und am Abend vor Pfingsten auf dem Appellplatz öffentlich gehängt. Forster hatte sich bis zur Tschechei durchgeschlagen, war dort als politischer Flüchtling interniert, nach Besetzung der Tschechoslowakei durch die Deutschen aber ausgeliefert worden. Er kam zurück nach Buchenwald. Kurz vor dem Weihnachtsfest 1938 legte auch er seinen Kopf in die Schlinge. Er wurde gehängt, als das Lager zum Abendappell angetreten war. Ich sehe noch, wie er im Scheine der elektrischen Strahler leichtfüßig, fast freudig die Treppe zum Galgen hinaufschritt. Er baumelte noch in der letzten Schwingung des entflohenen Lebens, als durch den Lautsprecher das gewohnte Kommando ertönte: »Arbeitskommandos antreten.« …
Leichen – 1945
Der »Anfall« von Leichen war in der letzten Zeit des Lagers besonders stark. Vor allem brachten die vielen Transporte aus jenen Lagern, die wegen akuter Kriegsgefahr geräumt werden mussten, viele, viele Leichen mit. Den Hauptanteil hatte das Lager Auschwitz. Es verging kein Tag, an dem nicht Transporte aus diesem Lager in Buchenwald ankamen, und jeder dieser Transporte brachte seine 300 bis 500 Toten. Es ist eine »grausige« Angelegenheit, von Leichen zu erzählen, doch gehört es mit dazu, um das Bild des Lagers zu vervollständigen. Ein eingetroffener Transport brachte immerviel Arbeit für uns. Die Leichen lagen auf dem Bahnhof Buchenwald und mussten auf einem Lastauto nach dem Krematorium ins Lager gebracht werden. Wir haben manchmal bis in die Nacht hinein Leichen aufgeladen und abgeladen. Das musste schnell gehen, denn die SS und auch wir wollten »Feierabend« machen. Da ging es nur mit »Ho-ruck«. Je zwei Mann eine Leiche. Einer an den Füßen, einer an den Armen. Angepackt, zum Schwung ausgeholt, und »… Horuck …« flog sie aufs Auto, Arme und Beine von sich streckend. Sie waren ja alle so leicht. Die meisten wogen kaum noch einen Zentner. Oben wurden sie wieder von zwei Mann in Empfang genommen und geschichtet: Vordermann – Seitenrichtung. Das Abladen auf dem Hof des Krematoriums ging schneller vor sich. Zwei Mann genügten, um die Leichen herabzuwerfen. Die übrigen zerrten sie, wie sie sie gerade zu packen kriegten, an den Armen oder an den Beinen zum großen Haufen. Daneben stand die SS und trieb zur Eile an: »Tempo, Tempo! Wir müssen fertig werden!« Und die Leichen flogen. Wahllos aus dem Haufen hervorgezerrt, flogen sie vom Wagen herunter. Mit dem Kopf zuerst, mit den Beinen zuerst. Dumpf prellten die Körper auf dem Steinboden auf. Die Knochen
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