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Nackt unter Wölfen

Nackt unter Wölfen

Titel: Nackt unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Apitz
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Täuschung. In Wirklichkeit waren die Zugänge offen. Pippig brachte die Schlüssel zum Tor.
    Es war dunkel. Eine Kleinigkeit war es für Pippig, sich mit seinem Blockältesten zu verständigen.
    »Pass auf, Max, ich schlafe diese Nacht nicht im Block, ich bleibe auf der Kammer.« Zwar brummte der Blockältestegutmütig: »Was hast du wieder vor, alter Gauner?« Doch Pippig huscht davon.
    Die Effektenkammer liegt abseits im Gebäudekomplex der Küche, der Wäscherei, der Desinfektion und des Bades. Pippig muss sich geschickt über die Wege pirschen, um nicht von einem Häftling oder einem SS-Mann, der verspätet das Lager verlässt, gesehen zu werden. Im Schutz der dunklen Gebäude ist er dann sicher. Ein leises Öffnen der Tür, ein Husch ins Haus …
    Im dunklen Kleiderraum, sich für alle Fälle im Winkel hinter dem Stapel verbergend, der auch das Kind geschützt hatte, wartete Pippig seine Zeit ab. Heute regnete es einmal nicht, es war windstill, und der volle Mond stand am klaren Himmel. Nicht lange dauerte es, und Pippig hörte den schrillen Pfiff des Lagerältesten. An verschiedenen Orten wiederholte er sich, näher, ferner … Dann zog das Lager die dunkle Decke des Schweigens über sich.
    Pippig wartete, eine Stunde, zwei … Er hatte keine Uhr, prüfte die Zeit nach dem Gefühl. Als es ihm Mitternacht schien und die Stille im Gebäude Sicherheit versprach, verließ Pippig das Versteck. Hammer, Zange, Stemmeisen holte er sich aus dem Schreibbüro. Derlei Werkzeug war vorhanden. Darauf schlich er in Zweilings Zimmer. Die Reihenfolge dessen, was geschehen musste, hatte sich Pippig längst durchdacht, und die einzelnen Handgriffe lösten sich folgerichtig ab. Zuerst hob Pippig den schweren Schreibtisch an und rückte ihn vorsichtig zur Seite. Dann schlug er den abgetretenen Teppich um die Hälfte zurück, wohlberechnend, dass jeder Gegenstand genau auf seine ursprüngliche Stelle zurückversetzt werden musste. Zweiling durfte nicht merken, dass etwa an seinem Schreibtisch gerückt worden war.
    Darauf begann Pippig mit der schwierigsten und umständlichsten Arbeit. Unter der freigelegten Stelle musste er ein meterlanges Dielenbrett aus der Vernagelung lösen. Imfahlen Nachtschimmer suchte er mit angestrengten Augen und tastenden Fingern die Nägel ab. Sie saßen tief im Holz! {Verdammt!} Das hatte er nicht bedacht.
    Jetzt nicht nervös werden. Pippst du oder pipp ich …
    Er fühlte, in einem Umfang, der der Breite des Schreibtisches entsprach, die Bretter ab. Da, einer der Nägel ragte mit dem Kopf um ein weniges heraus. Zu gering jedoch, um ihn mit der Zange erfassen zu können. Pippig versuchte es mit dem Stemmeisen. Es fand keinen Halt und glitt über den Nagelkopf hinweg.
    Ruhe, Rudi, Ruhe! Nicht das Holz beschädigen! An alles denken!
    Pippig tastete mit dem Eisen um den Nagelkopf herum. Mit äußerster Konzentration spürte er dem Eisen nach. Irgendwo musste es hängenbleiben. Es gab auf der ganzen Welt keinen Nagel, dessen Kopf nicht doch ein wenig schief im Holz saß. Pippig fand die Stelle. Jedoch das Eisen unter den Kopf zu schieben, und sei es nur um den Bruchteil eines Millimeters, das war Präzisionsarbeit von Werkzeug, Muskeln und Nerven. Das Eisen fasste ein wenig. Mit wippenden Bewegungen versuchte Pippig anzuheben. Unendlich lange mühte er sich und spürte Erfolg. Mit aller Vorsicht war es ihm endlich gelungen, den Rand des Nagelkopfes so weit aufzubiegen, dass er ihn mit der Zange fassen konnte. Doch auch mit diesem Werkzeug noch musste er behutsam umgehen, jede rohe Gewalt vermeiden, um keine Druckspuren auf dem Holz zu hinterlassen. Mit der Zange glitt er kauend um den Nagelkopf herum, und als sie ihn endlich sicher gefasst hatte, legte Pippig seine Mütze unter die Zangenbacke und drückte mit weichen Hebelbewegungen den Nagel Millimeter um Millimeter aus seinem Bett.
    Endlich!
    Noch fünf Nägel mussten gelöst werden. Doch das war Spielerei gegen das eben Vollbrachte. Er setzte das Stemmeisenals Wipphebel an das gelöste Brett. Vorsichtig, immer die Mütze als Unterlage benutzend, drückte er das Brett schließlich aus der Vernagelung und hob es ab. Pippig, der in früheren Jahren seiner Haft selbst im Baukommando gearbeitet hatte, wusste, dass sich unter dem Dielenbelag nur Schlacke befand. Nun ging alles schnell vor sich. Pippig drückte die Schlacke unter die Dielen, huschte in den Kleiderraum, stellte die Leiter auf und holte sich die Säcke herunter. Bis jetzt war er ruhig gewesen.

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