Nackt unter Wölfen
Doch als er die Säcke durchwühlte, in die Stiefelschäfte fuhr, überkam ihn nervöse Hast. Ruhe, verdammt noch mal. Aber er konnte es nicht hindern, dass die Hand ihm zitterte, als er auf dem Grund des Stiefels etwas Fremdes und Geheimnisvolles entdeckte, in Lappen gewickelt. Pippig griff zu, und es überrieselte ihn, als seine Hand die Formen der Waffe fühlte. Er zog die Pistole heraus.
Sie duldete es – schwer, herrisch und stolz –, von der zitternden Menschenhand gewogen zu werden. Nur für einen kurzen Augenblick gönnte sich Pippig den Schauer. Schnell zog er die übrigen Pistolen hervor, band die Säcke zu, hängte sie an ihren Platz zurück, stellte die Leiter fort und eilte mit seinem Schatz in Zweilings Zimmer zurück.
Er nahm sich nicht die Zeit, die Umhüllungen zu entfernen, um sich die Dinger zu betrachten, sondern drückte sie hastig in das vorbereitete Bett, als wäre jeder Augenblick, den sie ihrer Verborgenheit entrissen waren, eine Entweihung. Im selben Augenblick, als Pippig das Dielenbrett wieder auflegen wollte, durchjagte ihn ein entsetzensvoller Schreck.
Draußen knarrte es!
Deutlich hörte Pippig, wie die Tür leise geöffnet und wieder geschlossen wurde.
Für einen Augenblick war es still.
Dann knarrten vorsichtige Schritte. Noch mit dem Brett in den Händen kniete Pippig vor der Öffnung. Alle seine Sinnewaren erstarrt und hatten Front gemacht gegen das Unheilvolle, das da draußen vor sich ging. Ein kalter Schweißtropfen rann Pippig die Brust hinab, hinterließ einen rieselnden Schauer als Spur. Die Schritte kamen näher, mit unheimlicher Folgerichtigkeit hielten sie auf die halboffene Tür des Zimmers zu. Pippigs Atem wurde enger und stockte ganz, als die Tür geöffnet wurde und zwei Gestalten ins Dunkel des Zimmers traten. Es waren Müller und Brendel vom Lagerschutz. Sie hatten auf ihrem Rundgang zufällig an der Tür des Gebäudes geklinkt.
»Was machst du denn hier?«, fragte Brendel verhalten und dunkel. Pippig öffnete den Mund, aber seine erstarrten Sinne machten ihn unfähig zu antworten. Brendel und Müller traten heran. Sie beugten sich über die Öffnung, und Brendel, dem das Dunkel nur ein schwaches Erkennen der Gegenstände gestattete, die hier lagen, griff nach ihnen.
Da erwachte Pippig aus seiner Erstarrung. Er stieß Brendel heftig vor die Brust. »Pfoten weg!« Doch auch Müller hatte zugegriffen, und die beiden hielten jeder bestürzt eine Pistole in der Hand.
»Wo hast du das Zeug her?«
Pippig war aufgesprungen. »Das geht euch nichts an!«
Der kräftige Brendel hatte den Kleinen schon gepackt.
»Woher? Sag’s!« Der Augenblick war kritisch.
Müller trat dazwischen und trennte die beiden.
»Mit uns kannst du reden, Rudi. Wenn du kein Halunke bist, der uns was auswischen will, dann sag, was du hier …«
»Halunke? Du hast wohl ’nen Vogel?«, fuhr Pippig auf. »Ihr wisst doch selber, was los ist. Wir haben eine Laus im Fell. Die Dinger hier sind von Höfel. Wenn ihr es nun schon gesehen habt, dann quatscht nicht rum, sondern helft mir, sie zu verbuddeln.«
Die Lagerschutzler sahen sich an. Höfel war ihr Ausbilder, und sie hatten den Zusammenhang sofort erkannt. Ihr ursprünglichesMisstrauen war mehr die Überraschung des Augenblicks als Verdacht auf Pippig gewesen, den sie als guten und zuverlässigen Kumpel seit vielen Jahren schon kannten. Ihr Spürsinn, in den langen Jahren der Haft wohltrainiert, ließ sie auch in unvorhergesehenen Situationen das Echte vom Falschen scheiden und folgerichtig handeln. Ohne Zögern halfen sie Pippig, die Pistolen zu verbergen. Nur über den Ort des Verstecks wunderte sich Brendel.
»Mensch«, flüsterte er, »wie kommst du auf die Idee, das Zeug ausgerechnet unter Zweilings Schreibtisch zu verstecken?« Pippig flüsterte: »Weil der Arsch eines Scharführers noch immer der sicherste Verschlussdeckel ist. Wenn sie uns zwischen die Kimmen gucken,
hier
suchen sie nicht. Klar?«
Die bezwingende Logik verblüffte Brendel.
»Rudi, du bist ein Genie …«
»Quatsch nicht«, gab Pippig, aufs angenehmste geschmeichelt, zurück.
Den leeren Raum zwischen den Pistolen füllten sie mit Schlacke auf. Ehe sie das Brett wieder auflegten, zählte Brendel von der Außenwand des Zimmers her die Dielen und stellte fest, dass die Pistolen unter der elften lagen. Jedes Geräusch vermeidend, klopften sie das Brett fest.
Pippig legte die Mütze auf die Nägel und dämpfte damit die Schläge des Hammers ab. Jede Schmutzspur
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