Nackt unter Wölfen
beseitigten sie, ehe der Teppich zurückgeschlagen wurde. Gemeinsam transportierten sie den Schreibtisch an seinen Standort zurück. Pippig hatte ihn sich am Muster des Teppichs gemerkt. Der fahle Nachtschimmer im Raum gestattete ihnen, zu überprüfen, dass die alte Ordnung wiederhergestellt war. Jetzt erst erwachte in Pippig die Sorge um das Geheimnis.
»Kumpel«, flehte er, »ihr haltet die Schnauzen, nicht wahr?«
Wenn sie ihm hätten erklären können, was der Lagerschutz in Wirklichkeit war – so aber konnten sie Pippig nurauf die Schulter klopfen. »Keine Bange, Kleiner, wir wissen, was gespielt wird.«
Leise, wie sie gekommen waren, verschwanden sie.
Pippig räumte das Werkzeug hinweg und verbarg sich im Winkel, den Anbruch des Morgens abwartend. Schlafen konnte er nicht. Er hockte auf ein paar alten Mänteln, die er sich zurechtgelegt hatte, die Arme um die hochgezogenen Knie geschlungen.
Die drei Pistolen waren bestimmt nicht die einzigen Waffen, die es im Lager gab. Zwar wehrte sich sein sauberes Disziplingefühl gegen jede Neugier, doch jetzt hätte er gern etwas mehr von dem Geheimen gewusst. Dass es so was wie eine verborgene Leitung gab, das wusste er – was aber gab es noch alles? Pippig drückte das Kinn auf die Knie. Verdammt noch mal, Rudi, da haust du nun schon jahrelang in dieser Unterwelt hier, ein armseliger geprügelter Hund unter armseligen geprügelten Hunden, mit der einzigen verlorenen Vorstellung im dummen Schädel, dass das Endlose eines Tages doch mal zu Ende gehen würde, so oder so … Was hast du dir eigentlich unter dem So-oder-so vorgestellt, du Dunselmann?
Mit diesem Rutenbündel prügelte ihn das Schicksal in das Ende hinein. {Tod oder Leben.} War er nicht wirklich nur ein geprügelter Hund, der jetzt im Winkel hockte und mit Staunen feststellen musste, dass andere, die er für gleiche arme Hunde gehalten, das Rutenbündel längst schon überm Knie zerbrochen und das So-oder-so in ein entschlossenes Entweder-oder verwandelt hatten?
Bitter schmeckte Pippig diese Erkenntnis. Warum gehörte er nicht zu jenen, zu denen auch Höfel gehörte? Traute man ihm nichts zu, weil er klein war und krumme Beine hatte? Wen kannte er von »jenen«? Keinen!
War Krämer einer von ihnen?
Sicher!
Morgen, das nahm Pippig sich vor, morgen spreche ich mit ihm. Ich will kein armseliger So-oder-so-Hund sein!
Noch nachtschwarz war der Morgen, als Pippig nach dem Anpfeifen das Kammergebäude verließ. Auf den Wegen zwischen den Blocks war schon Leben. Stubendienste zogen aus allen Richtungen zur Küche, um die großen Kübel mit dem Morgenkaffee nach ihren Behausungen zu schleppen.
Auf dem Block war seine Abwesenheit nicht bemerkt worden. Im Schlafsaal bauten sie bereits ihre Betten, als Pippig kam, sein Bettnachbar fragte ihn, wo er in der Nacht gewesen sei.
»Bei einem kleinen Mädchen«, entgegnete Pippig trocken und mit einem Ton, der keine weiteren Neugierfragen zuließ.
Unterdessen lief unauffällig die Benachrichtigung an Bochow. Kurz nach dem Anpfeifen hatte sein Verbindungsmann durch den Kapo des Lagerschutzes den Bericht über die nächtlichen Ereignisse in der Effektenkammer erhalten. Zwischen dem Verbindungsmann und Bochow fand im Dunkel des Morgens vor dem Block ein kurzes geflüstertes Gespräch statt. Erst wollte in Bochow Unmut über Krämers Eigenmächtigkeit aufkommen, mit der dieser die Anweisungen überschritten hatte, aber da es Bochow inzwischen bekanntgeworden war, dass sich im Kommando der Effektenkammer ein fragwürdiges Element befand, hielt er den Wechsel des Verstecks für zweckmäßig, zumal, wie er anerkennen musste, der kleine Pippig mit besonderer Schlauheit gehandelt hatte. Bochow war durch den Verbindungsmann Pippigs Gutachten wörtlich überbracht worden. »Der Arsch eines Scharführers ist noch immer der sicherste Verschlussdeckel …« Bochow musste lächeln.
Förste wusste nun, worum es bei den beiden in der Zelle Nummer 5 ging. Aus den nächtlichen Vernehmungen undden Gesprächen zwischen Reineboth, Kluttig und dem Mandrill hatte er manches erfahren. Infolge seiner Isolierung wusste er nichts Bestimmtes von dem, was im Lager vor sich ging.
Immerhin, es gab so etwas wie eine geheime Organisation, und die Zelle Nummer 5 sollte der Kanal sein, von dem aus in die geheimen Gänge des Apparates vorgedrungen werden sollte. Das war Förste klargeworden.
Sein Vater war ein hoher Staatsbeamter in Wien gewesen, und er selbst, Hans Albert Förste, hatte
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