Nackt
sondern auf einem Berggipfel im westlichen North Carolina zu heiraten.
«Wie nett», sagte meine Mutter, «jetzt brauche ich, passend zu meinem Kleid, nur noch ein paar marineblaue Wanderstiefel, und dann bin ich komplett.»
Als ich meinen zukünftigen Schwager kennenlernte, war er bei meinen Eltern zu Besuch und hatte gerade den Kopf tief in den Backofen gesteckt. Ich kam in die Küche, ergriff, da ich ihn für eine meiner Schwestern hielt, seine fleischigen, jeansgekleideten Pobacken und begann sie mit beiden Händen zu kneten. Er geriet in Panik und knallte mit dem Kopf gegen die verkrusteten Röhren. «Oha», sagte ich, «tut mir leid. Ich dachte, du wärest Lisa.»
Es war die Wahrheit, konnte ihn aber aus irgendeinem Grunde nicht trösten. Zu der Zeit arbeitete Bob als Totengräber, eine Karriere-Entscheidung, die auf einen erfrischenden Mangel an Ehrgeiz schließen ließ. Es handelte sich dabei nicht um frische Gräber, sondern um alte, die verlegt wurden, um Platz für eine neue Fernstraße oder Einkaufs- und Genießermeile zu schaffen. «Wie wollen Sie damit meine Tochter ernähren?», fragte mein Vater.
«Ach, Lou», sagte meine Mutter, «niemand verlangt von ihm, dass er irgendjemanden ernährt; sie schlafen nur miteinander. Lass ihn zufrieden.» Wir mochten Bob, weil er sowohl anders als auch unapologetisch war. «Man nehme ein einen Tag altes Schweinskotelett, steche mit der Gabel lauter Löcher hinein, weiche es in Essig ein, und schon hat man prima was zu essen», sagte er und spielte am fedrigen Quast seines hüftlangen Zopfes. Weil er eine gute Kinderstube und zahllose Allergien hatte, wirkte Bobs Apartment wie das bewohnbare Prinzip Ordnung-und-Sauberkeit. Wir hätten gedacht, dass jemand, der das Futter seiner Stiefel sorgfältig schaumreinigte, unsere Schwester vielleicht kurz ausfahren, aber nie und nimmer heiraten durfte. Lisa konnte nicht einmal dazu abgerichtet werden, Essensreste vom eingesauten Laken zu kratzen, geschweige, die Bettdecke auszuschütteln und tatsächlich das Bett zu machen. Ich hatte seine Willenskraft und seine Geduld unterschätzt. Sie lebten bereits fast drei Jahre zusammen, als ich unangemeldet vorbeischaute und meine Schwester am Spülstein stehend erwischte, einen Schwamm in der einen und einen Teller in der anderen Hand. Die ungeheure Bedeutung von Spülmitteln hatte sich ihr noch nicht erschlossen, aber sie lernte. Irgendwann schnitt Bob sich die Haare ab, ging zurück aufs College und gab die Schaufel zugunsten einer glänzenden Karriere als Immobilienmakler auf. Er war ein liebenswerter Typ; nur die Sache mit dem Heiraten hätte er lassen sollen. «Als neulich meine Schwester heiratete» ist ein Satzanfang mit «als» und «neulich», der mir mindestens so verhasst wäre wie der Satz «Als mir neulich eine Dickdarmfistel zur Ableitung von Stuhl gelegt wurde …»
Drei Wochen vor der Hochzeit rief meine Mutter an, um mitzuteilen, dass sie Krebs habe. Sie war zum Arzt gegangen, um sich über ein Ohrgeräusch zu beschweren, und die anschließenden Untersuchungen ergaben, dass sie einen erheblichen Tumor in der Lunge hatte. «Von der Größe einer Zitrone, haben sie gesagt», sagte sie. «Keine winzige Faust oder ein Ei, nein, eine Zitrone. Ich glaube, die beschreiben das in Obstform, damit man keine Angst kriegt, aber hör mal, wer will schon eine Zitrone in der Lunge? Sie hoffen, sie erwischen sie, bevor sie ein Pfirsich oder eine Pampelmuse wird, aber wer weiß? Ich schon mal nicht. Ixundzwanzig Tests, und sie wissen immer noch nicht, was mit meinem Ohr ist. Ich hoffe nur, dass es, was es auch ist, nicht viel größer ist als eine Weintraube. An dem Krebs bin ich allerdings selbst schuld; das ist mir klar. Schlimm ist nur, dass euer Vater immer noch lebt, um mich alle gottverdammten fünfzehn Sekunden daran zu erinnern.»
Als meine Mutter anrief, war meine Schwester Amy bei mir. Wir reichten uns in meiner winzigen New Yorker Küche den Hörer hinüber und herüber, verbrachten dann den Rest des Abends im Bett und versuchten einander davon zu überzeugen, dass es unserer Mutter bald besser gehen würde, glaubten es aber nicht so ganz. Ich hatte von Menschen gehört, die den Krebs überlebt hatten, aber die meisten behaupteten, es mithilfe ungeschroteter Körner und spiritueller Veröffentlichungen geschafft zu haben, die sie dazu ermutigten, still in der Lotosposition zu sitzen. Sie stellten sich ihre Geschwüre bildlich vor und versuchten vernünftig mit ihnen
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