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Nackt

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Titel: Nackt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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zu reden. Unsere Mutter war nicht der Typ, der die Morgendämmerung begrüßt oder mit Gerste und Hafer kocht. Sie redete nicht vernünftig mit dem Tumor, sie bedrohte ihn; und als das nicht half, beschloss sie, ihn zu ignorieren. Wir konnten uns nicht vorstellen, wie sie bei einer Selbsthilfegruppe mitmachte oder im Trainingsanzug durch die Einkaufspassage trabte. Zweiundsechzig Jahre alt und keiner von uns hatte sie je mit Hose gesehen. Ich weiß nicht warum, aber es kam mir so vor, als brauche man eine Hose, um den Krebs zu besiegen. Ebenso wichtig war ein Plan. Man musste eine neue, andere Zukunft akzeptieren lernen, eine Zukunft ohne überquellende Aschenbecher und Zwanzigliterfaschen Wein und Scotch. Man musste glauben, dass ein solches Leben lebenswert war. Ich wusste nicht, ob ich so eine unersprießliche Zukunft hätte freudig begrüßen können, aber ich hoffte, dass sie es konnte. Mein Bruder, meine Schwestern und ich unternahmen einen Feldzug, um ihre Moral zu stärken und neue und aufregende Hobbys ins Feld zu führen, denen sie frönen konnte, sobald sie geheilt und wieder auf den Beinen war.
    «Das wird toll», sagte ich. «Du könntest, ich weiß nicht, vielleicht könntest du lernen, wie man ganz kleine Flugzeuge fliegt, oder du könntest dich freiwillig melden und Crack-Babys auf den Arm nehmen. Es gibt vieles, was ein älterer Mensch außer Rauchen und Trinken machen kann.»
    «Bitte ruf mich nicht bekifft an, um mir zu sagen, dass es vieles gibt, was ich mit meinem Leben machen kann», sagte sie. «Gerade habe ich mit deinem Bruder telefoniert, und der hat vorgeschlagen, ich soll einen Streichelzoo aufmachen. Wenn so was beim Highsein herauskommt, muss ich wirklich auch mit dem Marihuanarauchen anfangen, obwohl mir das etwas schwerfallen wird, denn als ich meine rechte Lunge zum letzten Mal sah, lag sie in einer Bratpfanne.»
    In Wirklichkeit waren ihre Lungenflügel genau da, wo sie immer gewesen waren. Der Krebs war zu weit fortgeschritten, und sie war zu schwach, um eine Operation zu überleben. Der Arzt entschied, sie solle nach Hause; er würde derweil einen Plan ausarbeiten. Bereits das Wort erfüllte uns mit Hoffnung: einen Plan. «Der Arzt hat einen Plan!», krähten meine Schwestern und ich einander an.
    «Genau», sagte meine Mutter. «Er plant, am Samstag Golf zu spielen, am Sonntag segeln zu gehen und mich am Montag drauf um Augen, Nieren und die Restleber zu bitten. Das ist sein Plan.»
    Wir empfanden es als schlechtes Zeichen, als sie ihr People- Abo abbestellte und anfing, ihre Zigarettenpäckchen- und nicht mehr stangenweise zu kaufen. Sie ging ihr Schmuckkästchen durch, rief meine Schwestern an und fragte sie, ob sie Perlen oder Steine vorzögen. «Im Augenblick sind die Rubine in einer Brosche in Form einer Zuckerstange, aber mehr Geld gibt es wahrscheinlich, wenn man sie ausbauen lässt und nur die Steine verkauft.» Auf ihre Weise hatte sie bereits begonnen, sich abzumelden, und den Plan verworfen, bevor er verkündet war. Aber was wird aus uns? wollte ich sagen. Sind wir denn nicht Grund genug weiterzumachen? Ich dachte an den unablässigen Kummer, den wir ihr all die Jahre bereitet hatten, und beantwortete die Frage. Sie hoffte zu sterben, bevor einer von uns ins Gefängnis kam.
    «Was will Amy denn zu diesem kleinen Pepsi-Werbespot anziehen?», fragte meine Mutter im Hinblick auf die Berggipfel-Zeremonie. «Sagt mir bitte, dass es nicht dies Hochzeitskleid ist.»
    Lisa hatte beschlossen, in einem schlichten kremfarbenen Kostüm zu heiraten, die Art Klamotte, die man zur zweiten Abmahnung anzieht. Amy fand, wenigstens einer sollte nach Hochzeit aussehen, und hatte die Idee gehabt, der Feier in einem bodenlangen Hochzeitskleid beizuwohnen, komplett mit Schleier und Schleppe. Schließlich zog sie dann etwas an, was meine Mutter noch mehr hasste, ein rosa Cocktailkleid mit abnehmbaren Ärmeln. Normalerweise war es ihr egal, was die Leute anhatten, aber sie nutzte das Thema, um von dem abzulenken, was wir inzwischen ihre «Lage» nannten. Wäre es nach ihr gegangen, hätten wir nie von ihrem Krebs erfahren. Unser Vater war darauf gekommen, es uns zu sagen; sie hatte dagegen angekämpft und erst eingewilligt, als er drohte, es uns selbst zu sagen. Unsere Mutter fürchtete, wir würden sie, sobald wir Bescheid wussten, anders, zartfühlend behandeln. Vielleicht fühlten wir uns verpflichtet, ihre Küche zu loben oder über all ihre Witze zu lachen, weil wir immer an den Tumor

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