Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nackt

Nackt

Titel: Nackt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
Vom Netzwerk:
unverzeihlich.
    «Sag das Mädchen, sie kann jetzt hinsetzen», pflegte die Ya Ya zu meinem Vater zu sagen, indem sie auf einen Hocker auf der entgegengesetzten Seite des Zimmers zeigte.
    «Sag dem Gnom, so lang bleib ich gar nicht», pflegte meine Mutter zu erwidern. «Ihre Höhle spielt ein wenig ins Unansehnliche und vielleicht bin ich auch gegen ihren Schnurrbart allergisch.»
    Wir verbrachten den Nachmittag am Tisch der Ya Ya und aßen sehniges gekochtes Fleisch, welches mit Spinatauflauf serviert wurde. Das Essen schmeckte, als wäre es Wochen zuvor gekocht und zum Altern in einem muffigen Koffer aufbewahrt worden. Ihre Gerichte waren in etwas unangenehm Feuchtem und Fremdartigem mariniert worden und wurden nicht in Töpfen und Pfannen gekocht, sondern in den gleichen geschwärzten Kesseln, wie sie Hexen verwenden. Sobald serviert war, führte sie eine epische Version des Tischgebets auf. Auf Griechisch, sowie auch in gebrochenem Englisch vorgetragen, schloss das Tischgebet Tränen und übertriebenes Händeringen ein und wirkte insgesamt weniger wie ein Gebet als wie ein Zauberspruch.
    «Genug skandiert», sagte dann meine Mutter und schob ihren Teller von sich. «Sag ihr, ich verschwinde, sobald meine Kinder abgefüttert sind.» Oft verließ meine Mutter einfach die Tafel und wartete draußen im Auto, bis wir unsere Mahlzeit beendet hatten.
    «Das Mädchen jetzt weg», sagte die Ya Ya und erhob ihr Glas mit Ginger Ale. «Okay jetzt, wir essen.»
    Unsere Besuche endeten mit einem Nimm-was-du-kriegen-kannst-Überfall auf den Laden. «Von jedem nur eins », sagte mein Vater. Meine Schwestern und ich hatten Taschen und Kissenbezüge dabei und räumten die Comics aus den Regalen. Wir stopften uns Socken und Taschen für die zwölfstündige Nachhausefahrt mit Süßigkeiten und Popcorn voll und überwältigten das Wageninnere mit dem Duft von Zeitungspapier und der gruseligen Liebe der Ya Ya.
    Meine Mutter ging mit ihrem sechsten Kind schwanger, als wir erfuhren, dass die Ya Ya von einem Lastwagen überfahren worden war. Sie hatte mit weit aufgerissenen Augen mitten auf der Straße gestanden und versucht, durch einfaches feindseliges Anstarren einen heran donnernden Neunachser zum Halten zu bringen, dessen Fahrer eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit meiner Mutter aufwies. So stellte ich es mir vor. Die Wahrheit war weit weniger dramatisch. Sie war offenbar von einem Kleinlaster angefahren worden, der gerade rückwärts einparkte. Der Aufprall war nicht weiter der Rede wert gewesen, aber beim Hinfallen hatte sie sich die Hüfte gebrochen.
    «Das ist ja wirklich schlimm», sagte meine Mutter und bewunderte im Badezimmerspiegel ihre Frisur, von erstem Grau frisch überzuckert. «Jetzt wird man sie erschießen müssen.»
    Mein Vater flog nach Cortland und gab, als er zurückkam, bekannt, die Ya Ya werde, sobald sie sich einigermaßen erholt habe, zu uns ziehen. «Ein paar von den Mädchen ziehen in den Keller und die Ya Ya kriegt das Schlafzimmer gegenüber vom Elternschlafzimmer; das wird doch toll!» Er bemühte sich, es verrückt und abenteuerlich klingen zu lassen, aber der arme Mann konnte niemanden hinters Licht führen und meine Mutter schon gar nicht.
    «Was ist denn so verkehrt an einem Altersheim?», fragte sie. «Normale Menschen machen so was. Du könntest sie auch, das wäre noch besser, an einen Streichelzoo vermieten. Schmuggel sie auf einen Tanker und verschiff sie in die alte Heimat, das wär doch was. Besorg ihr einen 24-Stunden-Babysitter, schreib sie beim gottverdammten Peace Corps ein, kauf ihr ein Wohnmobil und bring ihr Autofahren bei …; ich weiß nur, dass sie hier nicht einziehen wird, hast du das kapiert? Mein Haus wird sie jedenfalls nicht volljammern, Kumpel, das kommt gar nicht in die Tüte.»
    Wir hatten zwei Jahre in unserem Haus gewohnt, und es roch immer noch neu, bis die Ya Ya mit ihren Decken und Koffern und ihren vom Mehltau befallenen dickpolstrigen Sesseln einzog, die den unverkennbaren Ruch ihrer alten Wohnung in sich trugen. Über Nacht roch unser Eigenheim wie der Umkleideraum in der Griechisch-Orthodoxen Kirche.
    «Es liegt am Weihrauch», sagte meine Mutter. «Sag ihr, sie darf in ihrem Zimmer keine stinkende Myrrhe mehr verbrennen.»
    «Sag das Mädchen, sie mir soll wiedergeben meine Streichhölzer», sagte die Ya Ya.
    Für eine Stadt ihrer Größe beherbergte Raleigh eine erstaunliche Anzahl von Griechen, deren gesellschaftliches Leben sich rings um die Holy Trinity

Weitere Kostenlose Bücher