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Nackt

Nackt

Titel: Nackt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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geschehen», sagte meine Mutter. «Glaub mir, wenn ich hätte ein Baby stehlen wollen, hätte ich eins genommen, das mich nicht jedes Mal zusammenscheißt, wenn ich meine Jacke auf dem Sofa liegenlasse. Ich weiß auch nicht, wie es passiert ist, aber du bist mein Sohn. Wenn das für dich so eine Enttäuschung ist, stell dir einfach mal vor, wie es mir geht.»
    Wenn meine Mutter einkaufen ging, lungerte ich oft vor dem Laden herum. Ich hoffte, wohlhabende Eheleute würden mich in ihren Kofferraum stopfen. Zunächst würden sie mich eine bis zwei Stunden lang foltern, aber sobald sie erführen, dass ich mit Golfschlägern umzugehen verstand, würden sie meine Fesseln lösen und mich als Fleisch von ihrem Fleische umarmen.
    «Irgendwelche Entführer?», fragte meine Mutter dann, wenn sie ihren beladenen Einkaufswagen auf den Parkplatz schob.
    «Kennst du keine kinderlosen Ehepaare?», fragte ich dann, «jemanden mit Swimmingpool oder Privatjet?»
    «Du wärst der erste, dem ich Bescheid sage.»
    Mein Missvergnügen nahm mit dem Erscheinen jeder neuen Schwester zu. «Ihr habt wie viele Kinder in der Familie?», fragten die Lehrer. «Da seid ihr bestimmt katholisch, stimmt’s?»
    Meine Mutter schien zu Weihnachten immer schwanger zu sein. Das Klo war ständig voll schmutziger Windeln und ewig tappten Kleinkinder in mein Schlafzimmer, um meine Muschel- und Weinflaschensammlung durcheinanderzubringen. Ich hatte keine Ahnung von den genauen Vorgängen, aber nach dem zu urteilen, was ich bei den Nachbarn zufällig mitbekam, hatte unsere große Familie etwas mit der mangelnden Kontrolle meiner Mutter zu tun. Es war ihre Schuld, dass wir uns kein Sommerhaus mit Erkerfenstern und keinen Tennisplatz an der Steilküste leisten konnten. Anstatt ihren sozialen Status zu verbessern, zog sie es vor, Kinder auszuscheiden, jedes noch dreckiger als das davor.
    Erst als sie ihre sechste Schwangerschaft ankündigte, wurde mir die Komplexität der Lage klar. Ich ertappte sie im Schlafzimmer, wie sie am helllichten Nachmittag weinte.
    «Bist du traurig, weil du immer noch nicht im Keller staubgesaugt hast?», fragte ich. «Ich kann das für dich tun, wenn du möchtest.»
    «Ich weiß, dass du das kannst», sagte sie. «Und ich weiß dein Angebot zu schätzen. Nein, ich bin traurig, weil ich, Scheiße, weil ich schon wieder ein Kind kriege, aber diesmal ist es das letzte, das schwör ich dir. Nach diesem lass ich mir vom Arzt die Eileiter zubinden und den Knoten verlöten, damit es ganz bestimmt nie wieder passiert.»
    Ich hatte keinen Schimmer, wovon sie sprach – einem Leiter, einem Knoten, einem Lötkolben –, aber ich nickte, als hätten wir beide gerade eine Art private Übereinkunft getroffen, welcher später ein Team von Anwälten ihre endgültige Form geben würde. «Einmal schaffe ich es noch, aber ich brauche deine Hilfe.» Sie weinte immer noch, verzweifelt, aber irgendwie nachlässig, doch ich fand es weder peinlich noch zum Fürchten. Ich betrachtete ihre schmalen Hände, die sie sich wie einen Vorhang vors Gesicht hielt und verstand, dass sie mehr brauchte als eine freiwillige Haushaltshilfe. Und, oho, diese Person würde ich sein. Ein Zuhörer, ein Finanzberater, sogar ein Freund: Ich schwor, all dies und noch viel mehr zu sein, und zwar für zwanzig Dollar und eine schriftliche Garantie, dass ich immer mein eigenes privates Schlafzimmer haben würde. So engagiert war ich. Und weil sie wusste, was für ein gutes Geschäft sie gemacht hatte, trocknete meine Mutter sich das Gesicht und ging davon, um ihr Portemonnaie zu suchen.

Die Mackenplage
    A ls die Lehrerin fragte, ob sie mal meine Mutter besuchen kann, drückte ich achtmal die Nase gegen die Tischplatte.
    «Darf ich das als ja verstehen?», fragte sie.
    Laut ihren Berechnungen hatte ich an jenem Tag achtundzwanzigmal meinen Platz verlassen. «Du hüpfst auf und ab wie ein Floh. Ich wende dir nur zwei Minuten lang den Rücken zu und schon drückst du deine Zunge gegen den Lichtschalter. Vielleicht machen sie das da, wo du herkommst, aber hier in meinem Klassenzimmer verlassen wir unseren Platz nicht und lecken nicht an Sachen, wenn uns danach ist. Das ist der Lichtschalter von Miss Chestnut und Miss Chestnut liebt trockene Lichtschalter. Fändest du das etwa schön, wenn ich zu dir nach Hause käme, um deine Lichtschalter abzuschlecken? Na? Fändest du das schön?»
    Ich versuchte sie mir in Aktion auszumalen, aber mich rief mein Schuh. Zieh mich aus, flüsterte er.

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