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Nackt

Nackt

Titel: Nackt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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nun acht, denn mit der hintersten der Listen und Tücke auch werd’ dann zurück ich schlagen, wenn sie’s am mindesten gewahrt. Ein solcher Schimpf kann ungesühnt nicht bleiben, seid des getrost, o edle Dame mein. Die Rache mein wird süß mir munden wir die reifste Beere, und der Genuss wird lang und langsam sein.»
    «Darüber kommst du auch noch hinweg», sagte meine Mutter. «In ein, zwei Wochen ist bestimmt alles wieder normal. Ich hole jetzt die Hemden deines Vaters aus der Reinigung, und ich möchte, dass du hier wartest, im Auto: Glaub mir, bald ist die ganze Sache ausgestanden und vergessen.»
    Das war inzwischen ihre Antwort auf alles. Sie hatte sich ein wenig umgehört und war zu dem Schluss gekommen, ich sei, wie ihre Schwester das nannte, «vom Theatervirus befallen». Meine Mutter war überzeugt, dass dies eine Phase war, genau wie alle anderen. Ein paar Wochen Tamtam, und dann war wieder Schluss mit dem Showbusiness, wie vorher mit der Gitarre und meiner Privatdetektei. Ich hasste es, wie mein gesamter Lebensehrgeiz auf das Format einer gewöhnlichen Grippe reduziert wurde. Dies war kein Schnupfen, dies war ein ausgewachsenes Virus. Es würde zwar vielleicht ein, zwei Jahre lang nicht ausbrechen, aber der Krankheitskeim war in mir und würde nie mehr weggehen. Es hatte nichts mit Talent oder Initiative zu tun. Ablehnung konnte ihn nicht schwächen und kein noch so großer Erfolg konnte ihn je stillen. Die Diagnose war gestellt, die Prognose lautete: lebenslänglich.
    Das Theatervirus schien am härtesten bei Juden, Homosexuellen und pummeligen Mädchen mit verklumpter Aknesalbe im Gesicht zuzuschlagen. Dies waren Individuen, welche, aus welchen Gründen auch immer, verzweifelt um Aufmerksamkeit bettelten. Später entdeckte ich, dass es ganz schlecht war, mehr als zwei von dieser Sorte – egal, wie lange – in einem geschlossenen Raum unterzubringen. Die Bühne war nicht nur ein physischer Ort, sondern auch ein Seelenzustand, und das Wort Publikum beschrieb jeden, der gezwungen war, die Gesellschaft des Befallenen zu ertragen. Wir jungen Schauspieler waren Glühbirnen an einer Schnur, die vierundzwanzig Stunden am Tag angeknipst blieben und sich und andere mit ihrer vorgeblichen Brillanz erschöpften.
    Ich hatte das Theatervirus und Lois hatte ein Auto. Indem ich die Tiefe ihrer momentanen Verfehlung gegen den reichen Lohn abwägte, den ihr privates Gefährt bot, fand ich genügend Milde in meinem Busen, meiner eigensinnigen Freundin zu verzeihen. Ich rief sie sofort an, als ich erfuhr, dass unser gastierender Schauspieler eine Hamlet- Inszenierung im Amphitheater des Raleigh Rose Garden plante. Er sollte Regie führen und die Titelrolle spielen, aber die anderen Rollen konnte haben, wer wollte. Wir sprachen vor, und weil wir die jüngsten und Unerfahrensten waren, bekamen Lois und ich die Rollen der Wanderschauspieler, die Hamlet benutzt, um seinen Onkel Claudius zu ködern. Es war nicht die Rolle, die ich mir erhofft hatte, aber ich nahm das Angebot in stiller Würde an. Ich hatte ein paar anständige Sprechstellen und wollte, so gut ich konnte, daran arbeiten.
    Das übrige Ensemble war älter als wir, zwanzig, dreißig Jahre alt, und hatte sich die Sporen in Freilicht-Dauerbrennern wie Die verlorene Kolonie und Sanft sollt ihr wie die Lämmer sein verdient. Sie waren Profs, und ich hoffte, aus ihrer Erfahrung Nutzen zu ziehen. So saß ich ihnen buchstäblich zu Füßen, während der Regisseur die Rampe entlang stürmte und seine geballte Faust «armer Yorick» nannte.
    Ich betete diese Leute an. Lois schlief mit ihnen. In der zweiten Probenwoche hatte sie Fortinbras zu Gunsten von Laertes fallengelassen, der, wie sie angab, «echt gut mit dem Schwert konnte». Im Gegensatz zu mir wurde sie von den Älteren voll akzeptiert und ging mit Polonius und Ophelia auf nächtliche Besäufnisse und fuhr mit dem Regisseur an den See, während Gertrud und Rosenkranz es auf dem Rücksitz trieben. Das Schärfste daran war, dass Lois auch nicht entfernt so engagiert war wie ich. Ihr Theatervirus entsprach einer Vierundzwanzig-Stunden-Grippe, aber da spielte sie nun Tittenbillard mit Hamlet persönlich, während ich allein in meinem Zimmer saß, Text lernte und mir kleine Tricks ausdachte, allen anderen die Schau zu stehlen.
    Es wurde beschlossen, dass Lois und ich als Wanderschauspieler Purzelbäume schlagend die Freilichtbühne betreten sollten. Als sie klagte, das Gras irritiere ihre Haut, untersuchte der

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