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Nackt

Nackt

Titel: Nackt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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der Höhlenmalereien, die uns der Ober-Erzieher als Film der Woche anbot.
    So übel war sie gar nicht, die Theodora. Eines Tages wird es der Wissenschaft gelingen, einem menschlichen Schädel ein Kalbshirn einzupflanzen, und dann wird sie genauso lebhaft und intelligent sein wie er. Ich versuchte ebenfalls, eine Freundin zu finden, aber meine einzige mögliche Kandidatin wurde nach Hause geschickt, nachdem sie die Stufen des Parthenon hinuntergefallen war und dabei ihre Beinschiene kaputtgemacht hatte.
    Jason wirkte in Begleitung seiner Freundin durchaus überzeugend. Sie krabbelten durch die verschiedenen Ruinen und machten Schnappschüsse voneinander, während ich vor mich hin schäumte und sie beim Schnäbeln und Gurren beobachtete. Meine Eifersucht wurde von der Annahme genährt, er sei geheilt. Eine Handvoll nur von meinem Fleische und er hatte alle Symptome der Krankheit verloren.
    Als das Lager vorbei war, flog ich mit übereinandergeschlagenen Beinen nach Hause, ließ meine Reisetasche voller gestohlener Souvenirs fallen und raste aufs Klo, auf welchem ich die nächsten Tage mit einem Rasierspiegel verbrachte, in dem ich mein Gesicht erforschte. Ich mag Jungs. Die Worte hatten sich in meine Züge eingegraben. Ich war jetzt ein Prof und das konnte man sehen.
    Ich kehrte zu meinem Freiwilligen-Job in der Nervenklinik zu- rück und hatte, als Ansporn für die schwierigeren Patienten, immer schroff schmeckende griechische Zigaretten dabei.
    «Tunte!», rief eine Frau und beugte sich vor, um ihre Tannenzapfensammlung vor mir zu schützen. «Nimm deine Tuntenfinger von meinen Funkempfängern.»
    «Hör gar nicht hin, wenn Mary Elizabeth was sagt», sagte der Pfleger. «Die hat sie nicht alle.»
    Vielleicht doch, dachte ich und hielt mir einen Tannenzapfen ans Ohr. Mit der Tunte hatte sie schon mal recht gehabt; man konnte also nicht wissen.
    Sobald wir unseren Flieger von JFK nach Raleigh bestiegen, frisierte Lisa ihr Haar um, schaffte ihren Akzent ab, wandte sich an mich und sagte: «Das war doch ein ausgesprochen netter Aufenthalt, findest du nicht?» Innerhalb von fünf Minuten hatte sie sämtliche Spuren ihrer tollkühnen europäischen Persönlichkeit getilgt. Warum konnte ich das nicht auch?
    Im späten August kam der Stundenplan für das neue Schuljahr zusammen mit der Nachricht, dass der Schulbusverkehr eingestellt wird. In anderen Städten und Countys war es zu Ausschreitungen gekommen, weit weg, in Boston zum Beispiel; in Raleigh vollzog der Übergang sich friedlich. Nicht nur Schüler, auch viele Lehrer waren von einer Schule an die andere versetzt worden. Mein neuer Lehrer für Naturwissenschaften war ein Schwarzer, der sehr geschickt blitzschnell durchs Klassenzimmer rauschte und sich dabei über alle lustig machte, von Albert Einstein bis hin zu «Mr. Rogers», einem stets hinfällig wirkenden Kinderfernsehmoderator. Ob schwarz, ob weiß, die Lehrer boten ihre Lächerlichkeit dar wie einen Ölzweig. «Hier», sagten sie, «hier ist etwas, was uns allen gemeinsam eignet, der Beweis, dass wir unter der Haut alle Brüder sind.»

Das Theatervirus
    D er Mann war zu uns in die Klasse geschickt worden, um uns zu inspirieren, und ich persönlich muss sagen, er machte seine Sache ganz ausgezeichnet. Nachdem er sich entspannt und herzlich vorgestellt hatte, brach er in den hinteren Teil des Klassenzimmers auf, um jedoch auf halbem Wege an etwas zu scheitern, was er als «die unsichtbare Wand» bezeichnete, jene transparente Barriere, die nur von Psychotikern, Drogensüchtigen und anderen Angehörigen der Unterhaltungsbranche wahrgenommen wird.
    Ich war völlig gebannt, als er die imaginäre Wand mit den Handflächen untersuchte und mit den Händen die offenbar harte Oberfläche in der Hoffnung auf ein Schlupfloch abtastete. Nur Augenblicke später zerrte er an einem unsichtbaren Seil und kämpfte dann gegen einen gewaltigen, phantastischen Wind an.
    Man weiß, dass man in einer Kleinstadt lebt, wenn man es bis in die neunte Klasse geschafft hat, ohne jemals einen Pantomimen gesehen zu haben. Was mich betraf, so war dieser Mann ein Prophet, ein Genie, ein Pionier im Unterhaltungsbereich –, und der war nun hier, in Raleigh, North Carolina! Zum Totlachen, wie er die Lehrerin nachmachte, mit heruntergezogenen Mundwinkeln, und in einem imaginären Handtäschchen nach Kaugummi und Aspirin kramte. Wenn dieser Typ nicht komisch war, wer denn dann?
    Ich ging nach Hause und demonstrierte die unsichtbare Wand meinem

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