Nackt
zwei Jahre alten Bruder, der gegen die sehr reale Wand neben seinem Laufställchen hämmerte und vor Ekel schrie und heulte. Als meine Mutter fragte, was ich getan hatte, um ihn zu provozieren, warf ich in gespielter Unschuld die Hände hoch, um mich sogleich zu bücken und das imaginäre Baby, das zu meinen Füßen wuselte, aufzuheben. Ich tätschelte dem kleinen Gespenst den Rücken, damit es ein Bäuerchen machte, und inspizierte gerade die verschmutzte Windel, als ich auf dem Gesicht meiner Mutter einen Ausdruck bemerkte, den sie normalerweise für unaussprechliches Entsetzen reserviert hatte. Ich hatte diesen Gesichtsausdruck erst zweimal gesehen: Einmal, als sie von einem tollwütigen Schwein angegriffen wurde, und dann noch einmal, als ich ihr sagte, ich hätte gern einen pfirsichfarbenen Blazer aus Baumwollsamt mit dazu passender ausgestellter Hose.
«Ich weiß nicht, wer dir das eingeblasen hat», sagte sie, «aber ich werde dich eigenhändig umbringen, bevor ich mit ansehe, wie du zum Clown heranwächst. Wenn du dir das Gesicht anmalen und an Straßenecken herum hüpfen willst, musst du dir eine andere Bleibe suchen, denn so was dulde ich nicht in meinem Haus.» Sie wandte sich zum Gehen. «Auch nicht in meinem Vorgarten», fügte sie hinzu.
Aus Angst vor ihrer Vergeltung tat ich, wie mir geheißen, und beendete meine Karriere als Pantomime mit Gewinsel und nicht, wie ich gehofft hatte, mit einem lautlosen Paukenschlag.
Der Schauspieler hatte ein paar Monate später einen zweiten Gastauftritt in unserer Klasse, und als er den Mantel auszog, zeigte sich, dass er einen schwarzen Stretch-Anzug mitsamt kittfarbenem orthopädischen Stützkragen trug, die Folge eines Autounfalls. An diesem Nachmittag hatte er die Aufgabe, uns mit den Werken William Shakespeares bekannt zu machen, und wieder war ich völlig verzaubert von seinem Charme und Können. Wenn die Worte verwirrend wurden, brauchte man nur auf Gesicht und Hände des Schauspielers zu achten, um zu verstehen, dass die Rolle, die er verkörperte, nicht nur wütend war, sondern rachsüchtig. Ich liebte die Unterströmung von Feindseligkeit, die unter der Oberfläche dieser trügerisch schönen Sprache lag. Mir schien es eine Schande, dass die Menschen nicht mehr so sprachen und ich begann einen Feldzug zur Wiedereinführung des elisabethanischen Englisch bei den Bürgern Nordkarolinens.
«Wenn’s, edle Dame, wunder Euch auch nimmt, dass ich, so mag’s Euch dünken, ohne Not beklag’ den Zustand des Gemachs allhier», sagte ich zu meiner Mutter, als ich den Wohnzimmerteppich staubsaugte, was sie aus angeborener Faulheit mal wieder unterlassen hatte, «denn dieser Unrat, traun, befleckt nicht nur das gleichmüt’ge Gewebe, nein, auf den Charakter auch der Säum’gen wirft er Schatten. Zürnt mir nun Ihr, Weib? War’ ein Vergeh’n es, würdig, dass man’s strafe, die Kammern und Gelasse nicht zu reinigen, so würdet bald vom höchsten Ast Ihr baumeln als Sühn’ und Ahndung des, was unterließet Ihr zu tun, saumselige Gebiet’rin mein. Gibt es nicht Wämser, so man waschen, Leibwäsche, so man züchtig bügeln sollte? Seh’ ich dort Porzellan und ird’ne Krüge, begierig, dass man spüle ab, die stummen Zeugen des Gebrauchs? Mach’ an die Arbeit Sie sich, verdammenswerte Herrin, bevor die Frucht aus eig’nem Schoß zwo Fäuste gegen Euch erhebt, beseelt von Wut und von Empörung auch, zu würgen Euch am Halse, bis jäh der letzte Hauch aus dem Gehege Eurer Kehle weicht. Heb’ Dich hinweg nun, Dirne, frisch ans Werk!»
Meine Mutter reagierte, als hätte ich sie mit einem kleinen Stück Nähseide geschlagen. Die Absicht war da, aber die Waffe war fremdartig und unangemessen. Am Zustand meines Zimmers merkte ich, dass sie den gesamten folgenden Tag damit verbracht hatte, meine Schubladen nach Drogen zu durchsuchen. Die Klamotten, die ich mit einem gewissen Stolz ordentlich zusammengefaltet hatte, waren ohne Rücksicht auf Farbe und Kategorie zusammengeknüllt. Ich roch, dass geraucht worden war, und bemerkte die Kaffeeringe auf meinem Schreibtisch. Ich hatte meiner Mutter schon einiges verziehen, doch bringst die Schublad’ mein du durcheinander, hast einen Feind für’s Leben du herangezüchtet dir. Ich band eine Daune an meinen Kugelschreiber und mit diesem Federkiel schrieb ich ihr einen Brief. «Das Ding, so sonder Rast Ihr sucht», schrieb ich, «nicht findet sich’s in meiner sorglich aufgeräumten Kemenate, nein! doch ruht’s –
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