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Nackt

Nackt

Titel: Nackt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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Regisseur die winzigen roten Punkte auf ihrem Rücken und entschied, von jetzt an hätten die Gaukler hüpfend aufzutreten. Ich hatte Purzelbäume geübt, bis mein Hirn sich aus der Verankerung löste und man es innerhalb des Schädels schlackern hören konnte, und jetzt, auf Grund einer einzigen Beschwerde, sollten wir hüpfen? Er hatte bereits all meine Sprechstellen gekürzt und mir nur noch die eine Zeile «ja, gnädiger Herr!», übriggelassen. Das war’s, vier lausige Silben. Aus einem Niesen ließ sich emotional mehr machen als aus meinem gesamten Text zusammengenommen. Während die anderen Schauspieler durch den Rose Garden schlenderten und ihre rachsüchtigen Monologe memorierten, hüpfte ich auf dem Parkplatz herum und wiederholte mit einer Stimme, die sich immer mehr nach einem dressierten Papagei anhörte: «Ja, gnäd’ger Herr!» Lois kam sich hüpfend albern vor und sprach mit dem Regisseur, der ihren Instinkt lobte und ansagte, von jetzt an hätten die Gaukler normal gehend aufzutreten.
    Je weniger ich zu tun hatte, desto mehr verwendeten mich meine Schauspielerkollegen als persönlichen Sklaven. Ich hätte sie liebend gern abgehört, aber stattdessen wollten sie, dass ich ihre Kronen polierte oder zu einem Auto trabte, um einen verlorenen Dolch auf dem Rücksitz zu finden.
    «Willst du dich nützlich machen? Du kannst Doogan helfen und mit Leuchtklebeband die Anordnung der Requisiten markieren», sagte der Regisseur. «Du kannst die Spinnen aus der Garderobe jagen, oder, noch besser, du kannst zum Laden rennen und uns ein paar Getränke holen.»
    Lois saß meistens im Schatten und tat gar nichts. Sie weigerte sich nicht nur, hier und da zu helfen, sie war stattdessen immer die erste, die mir einen großen Schein gab, wenn sie kalorienarm Brause zu dreißig Cent bestellte. Sie durchstöberte ihr Portemonnaie und überging die Ein-Dollar-Noten, bis sie einen Zehner oder Zwanziger gefunden hatte. «Der muss sowieso kleingemacht werden», sagte sie dann. «Wenn sie dir einen Becher Eiswürfel gesondert berechnen wollen, sag ihnen, sie sollen dich am Arsch lecken.» In den Probenpausen fläzte sie sich auf die Tribüne und quatschte mit den anderen Schauspielern, während ich für die Bühnenarbeiter Leitern verankerte.
    Als es Zeit für unsere große Szene wurde, rezitierte Lois ihren Text, als läse sie ihn von einer weit entfernten Plakatwand ab. Sie kniff die Augen zusammen und pausierte zwischen den einzelnen Silben, sodass jedes Wort mit einem Fragezeichen versehen wurde: «Wiege? Dich? Der? Schlummer? Und? Nimmer? Komme? Zwischen? Uns? Ein? Kummer?»
    Falls der Regisseur ein Problem mit ihrer Darstellung hatte, so behielt er das für sich. Mir dagegen wurde aufgetragen, nicht mit dem Pullover über der Schulter herumzulaufen, langsamer zu gehen und ohne Akzent zu sprechen. Die Kritik wäre leichter zu ertragen gewesen, wenn er sie etwas gleichmäßiger verteilt hätte, aber damit war wohl nicht zu rechnen. Sie konnte mit Sonnenbrille und Pizza essend auftreten, und das war «prima, Lois. Einsame Klasse, Kleines.»
    Inzwischen konnte ich sehen, wie ich auf eigene Faust von den Proben nach Hause kam. Lois konnte mich nicht mehr fahren, weil sie immer eilig auf eine Party oder in ein Restaurant musste, und zwar mit, wie sie sie nannte, «der Bande von Helsingör».
    «Ich kann nicht mit», sagte ich und tat, als wäre ich ebenfalls eingeladen. «Ich muss dringend nach Hause und meinen Text büffeln. Viel Spaß. Ich ruf meine Mutter an, sie soll mich abholen.»
    «Sind wir verstimmt?», fragte dann meine Mutter, während sie mit dem Kombi auf dem Parkplatz vorfuhr.
    «Wir sind es in der Tat», antwortete ich dann, «und zwar zutiefst.»
    «Lass nur», sagte sie. «In zehn Jahren erinnerst du dich unter Garantie an keinen dieser Leute mehr. Die Zeit vergeht; du wirst schon sehen.» Sie runzelte die Stirn und studierte ihr Gesicht im Rückspiegel. «Genug Schnaps und man kann alles vergessen. Nimm’s dir nicht so sehr zu Herzen. Wenn du sonst nichts draus gelernt hast, dann doch immerhin, sie um das Wechselgeld zu bescheißen, wenn du ihnen Getränke holst.»
    Ihre lässige Einstellung gefiel mir nicht, aber die Sache mit dem Wechselgeld hatte was.
    «Runde alles nach oben ab», sagte sie. «Gib ihnen das Wechselgeld zusammen mit dem Getränk; dann ist es weniger wahrscheinlich, dass sie nachzählen –, und falte nie die Scheine zusammen; Geld trägt man immer im Bündel.»
    Die Sache mit der Rache

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