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Nackt

Nackt

Titel: Nackt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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nebst zweifelhaftem And’ren – in Eurem Hirngehäuse selbst.» Ich steckte ihn ihr in die Handtasche, nachdem ich ihn zweimal gefaltet und mit Wachs von den Kerzen, mit denen ich jetzt mein Zimmer beleuchtete, versiegelt hatte. Ich verfiel ins Grübeln, und das besserte sich erst, als ich Shakespeares Stücke in einem Band geschenkt bekam. Sobald ich sie besaß, fand ich sie schwerfällig und undurchschaubar. Ich las die Wörter und fühlte mich stumpf und dumm; sprach ich sie jedoch, bekam ich ein Gefühl von Macht. Am besten war es, das Buch einfach von Zimmer zu Zimmer mit mir herumzutragen und es gelegentlich nach lustigen Wörtern abzusuchen, mit denen ich meinen ohnehin duftenden Wortschatz würzte. Das gemeinsame Abendessen wurde entweder unerträglich oder qualvoll, je nach meiner Laune.
    «Mich deucht, o edler Herr, liebwerte Dame Ihr, auch ihr Geschwister all’, dass dieses Flügeltier aus ländlichem Gefild’ des Wohlgeschmacks und Saftes nicht enträt, hat es geschmort doch in der eig’nen süßen Brüh’, die Zeitspann’ während, die es braucht, dass Phoibos’ Sonnenwagen rosig, fingrig auch, die pfaumenfarb’nen Himmel tat’ durchmessen, damit die Stund’ des Zwielichts rinn’ durch’s Glas. Hat er gleich Knusp, so ist er saftig doch, der plumpe Vogel, befriedigt im Verein so fein gesott’ner Nachbarn. Glaubt mir, o Blutsverwandte, verwahrt gut meine Worte, bedünkt mich doch das Unterfangen toll, ja, wagemutig gar, die Gabel mein zugleich mit Federvieh und Möhrchen zu besatteln, zu just derselben Zeit, sodass die Säfte zwillingsgleich sich mischen in delikater, trauter Harmonie, so Zung’ und Gaumen mein umschmeichelt und belebt im Geiste ohngezügelten Entzückens! Was sagt Ihr, edler Vater, Schwestern ihr, noch kaum des Wortes mächtiger kleiner Bruder du, lasst uns die Kelche heben und bis zur Neige leeren zu Ehren dieses herzhaft leck’ren Mahles, so liebend und mit höchster Anmut zubereitet von jenem pfichtbewussten Weibe, so wir als Gattin, Buhlin, Mutter gar benennen!»
    Meine Begeisterung kannte keine Grenzen. Bald bettelte mich meine Mutter buchstäblich an, im Auto zu warten, wenn sie zur Bank oder zum Lebensmittelmann ging.
    Ich war gerade beim Kieferorthopäden, den ich als wind’gen Bader zur Hölle wünschte, als der Schauspieler wieder in unserer Klasse gastierte.
    «Du hast es verpasst», sagte meine Freundin Lois. «Der Mann war so unbeschreiblich stark, dass ich praktisch geweint habe, so brillant war er.» Sie streckte die Hände aus, als trüge sie ein Tablett. «Ich weiß nicht, was ich noch sagen soll. Die Wörter gibt es gar nicht. Ich könnte versuchen zu erklären, wie echt er wirkte, aber das würdest du nie verstehen. Nie», wiederholte sie. «Nie, nie, nie.»
    Lois und ich waren seit sechs Monaten befreundet gewesen, als unsere Beziehung plötzlich einen Beigeschmack von Konkurrenzdenken bekam. Mir war es immer egal gewesen, wer bessere Noten oder mehr Taschengeld hatte. Wir hatten beide unsere Stärken; wichtig war nur, jeweils das zu würdigen, was der andere gerade am besten konnte. Lois hielt ihren Chablis besser als ich und dafür respektierte ich sie. Ihr beängstigendes Übermaß an Selbstvertrauen gestattete ihr, mit einer rostroten Afro-Perücke in die Schule zu marschieren und ich stand hundert Prozent hinter ihr. Sie hatte mehr Schallplatten als ich und weil sie neun Monate älter war, konnte sie Auto fahren, was sie auch tat, und zwar, als gelte es, ein Feuer zu löschen. Fein, dachte ich, wie schön für sie. Mein überlegenes Wissen und die mir innewohnende Großzügigkeit erlaubten mir, mich ehrlich für Lois zu freuen –, bis zu dem Tag, an dem sie meine Fähigkeit bezweifelte, den gastierenden Schauspieler zu verstehen. Als er die ersten Male da war, war sie genau wie alle anderen gewesen und hatte über seinen Schütteltrauma-Kragen gelacht und angesichts des mandarinengroßen Klumpens in seiner Strumpfhose die Augen gerollt. Ich hatte seine Brillanz zuerst erkannt, und jetzt sagte sie, ich verstünde ihn nicht? Mich deucht, sie spinnt.
    «Fürwahr, o Frau», sagte ich zu meiner Mutter auf dem Weg zur Reinigung, «zu denken, dass dies niedere Gewürm zu mir von Größe spricht, als war’ mein Aug’ unfähig, sie zu schau’n, ist mehr, als zu ertragen ich vermag. Die Worte, so sie sprach, sie drangen mir ins Herz gleich einem Hieb, der Straf und Schmerzen beut und mich zugleich verdutzt und höchlich auch verdrießt. Doch gebet fein

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