Nackt
nach Hause erwischen.
F ür jeden etwas
E inen Tag, nachdem ich die Abschlussprüfung am College bestanden hatte, fand ich fünfzig Dollar in der Eingangshalle meines Mietshauses in Chicago. Der einzelne Geldschein war achtmal gefaltet und prall mit Kokain gefüllt. Mir kam der Gedanke, dass ich, wenn ich mein Blatt geschickt ausspielte, vielleicht nie einen Job finden musste. Die Leute verloren ständig etwas. Sie ließen Siegelringe mit dem Schulwappen auf dem Waschbeckenrand einer öffentlichen Toilette liegen und gemmenverzierte Ohrringe vor den Toren des Opernhauses fallen. Mein Job bestand darin, die Augen offenzuhalten und diese Dinge zu finden. Ich wollte nicht einer der Trottel werden, die die Strände vom Michigansee mit einem Metalldetektor abkämmten, aber wenn ich aufpasste und meinen Kopf benutzte, brauchte ich vielleicht nie wieder zu arbeiten.
Am nächsten Nachmittag – mit einem schönen Kokainkater – fand ich zwölf Cent und eine originalverschlossene Dose mit Pfefferminzbonbons. Wenn ich die fünfzig Dollar vom Vortag hinzuaddierte, kam ich auf durchschnittlich fünfundzwanzig Dollar und sechs Cent pro Tag, was immer noch ein anständiges Gehalt war.
Am nächsten Morgen entdeckte ich zwei Pennys und einen Kamm mit verfilzten, kurzen, lockigen Haaren. Am Tag danach fand ich eine Erdnuss. Da begann ich, mir Sorgen zu machen.
Ich kenne Leute, die bei einem Job aufhören und schneller, als man ein Brathuhn vierteilt, einen neuen finden. Egal, ob sie Erfahrung mitbringen –, diese Menschen strahlen Charme und Selbstvertrauen aus. Der Charme ist entweder angeboren oder in jungen Jahren in sie hinein geprügelt worden, aber das Selbstvertrauen gründet sich auf dem Wissen, dass jemand wie ich sich ebenfalls beworben hat. Meine Geschichte ist eine Geschichte des Beinahe. Ich kann Schreibmaschine, aber nur mit einem Finger, und ich habe noch nie einen Computer angefasst, außer um ihn zu reinigen. Ich habe nie Auto fahren gelernt, was eine Liefertätigkeit ausschließt und nur Arbeitsplätze in der Nähe von Bushaltestellen zulässt. Ich kann einigermaßen Sachen zusammenhämmern, habe aber eine tief verwurzelte Angst vor elektrischen Sägen, fahrbaren Rasenmähern und allen motorisierten Geräten, die lauter oder gewalttätiger sind als ein Staubsauger. Ja, ich habe Erfahrung im Verkauf, aber der beschränkt sich auf Marihuana, ein Produkt, das sich von selbst verkauft. Für ein Wächteramt fehlt es mir an Größe und Statur und für Warenhausdetektiv, Schülerlotse und Grundschullehrer an Aggressivität. Vor Jahren habe ich mal gekellnert, aber das war die Art Restaurant, in dem die Gäste den Spruch «Schönen Tag noch!» als ausreichendes Trinkgeld ansehen. Mehr als einmal musste ich den Koch physisch vom Fußboden kratzen und das Rührei selber rühren, aber das empfahl mich kaum als maître de cuisine.
Es hätte keinen Sinn gehabt, diesen Job in meinem Lebenslauf zu erwähnen und als Referenz zu nennen, da der Geschäftsführer aus Angst, jemand könnte etwas zum Mitnehmen bestellen, nie ans Telefon ging. Die Kellner in Chicago neigten dazu, sich mit einer Mappe voller Profifotos unter dem einen Arm und einem Turnbeutel über der anderen Schulter vorzustellen, und da konnte ich wohl auch nicht mithalten. Wenn mein Hemd gebügelt war, konnte man mehr oder weniger sicher sein, dass mein Hosenschlitz offenstand.
Wenn ich Glück hatte, stolperte ich in Jobs, bei denen man am Ende des Jahres bestimmt keine Steuererklärung ausfüllen musste. Die Menschen gaben mir Geld und ich gab es aus. Dadurch schien ich durch irgendeinen Spalt gefallen zu sein. Man brauchte gewisse Dinge, um einen richtigen Job zu bekommen, und je länger man ohne einen war, desto schwerer konnte man jemanden von seinem Wert überzeugen. Warum kann man keine Ladenkasse oder einen Gabelstapler bedienen? Wie kommt es, dass man dreißig geworden ist und immer noch auf keine verifizierbare berufliche Karriere zurückblicken kann? Warum schwitzt man so, und welche Macht zwingt einen dazu, während des gesamten Anstellungsgespräches mit dem Feuerzeug zu schnicken? Diese Fragen wurden nie ausgesprochen, aber doch angedeutet, sobald ein Geschäftsführer meine Bewerbung mit dem Text nach unten auf seinen Schreibtisch legte.
Ich blätterte in längst nicht mehr aktuellen Broschüren mit Stellenangeboten, die das Art Institute herausgab, und Seite für Seite wurde dort mein soeben erworbenes Diplom verspottet. Die meisten
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