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Nackt

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Titel: Nackt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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Programmieren gelernt, und jetzt ist er Abteilungsleiter im Vertrieb von Flexy-Wygaart da drüben und hat eine ganze gottverdammte Abteilung unter sich! Computer, da geht es ab!»
    Davon abgesehen, dass ich mich für Computer nicht interessierte, schien es mir Verrat, bei der einen Lehranstalt einen Abschluss zu machen, um dann sofort auf eine andere zu gehen. Das hätte bedeutet zuzugeben, dass ich zehntausend Dollar geliehen und absolut nichts von Wert gelernt hatte, und das wollte ich noch nicht wahrhaben.
    Ich fand das Inserat in einem Anzeigenblatt. «Scharfer, eingearbeiteter Tatmensch zum Abbeizen/Neulackieren von Holzteilen gesucht. Begeisterung Voraussetzung.» Mit Abbeizen/Neulackieren hatte ich Jahre verbracht, erst in Raleigh und dann wieder in Chicago. Ich hatte geschworen, es nie wieder zu tun, aber das ist das Problem mit einer Fähigkeit: Sobald man ihr abschwört, weiß man, man wird sie immer wieder am Halse haben. Jede Arbeit scheint darauf abgestellt, einen umzubringen, aber Abbeizen/Neulackieren ist maßgeschneidert, wenn es darum geht, sich einen langen und qualvollen Tod anzutun. Die Beizchemikalien werden in Metallbüchsen verkauft, auf denen ein Schädel mit gekreuzten Knochen abgebildet ist, und die Liste der Zutaten liest sich wie ein Who’s Who in der Welt der krebserzeugenden Stoffe. Diese Abbeizmittel fressen sich durch Plastikeimer, Gummihandschuhe und Nylonbürsten. Es wird empfohlen, eine Atemmaske zu tragen, aber das lehnte ich ab, weil sie mich beim Rauchen behinderte. Als Resultat fand ich es zunehmend unwichtig, was ich aß. Alles schmeckte nach Benzol: Rührei oder gegrilltes Schweinefleisch; wenn ich die Augen schloss, war nur die Konsistenz verschieden. Nach einem Arbeitstag sah ich nur noch verschwommen, und meine Hände waren so fleckig, dass die Kassiererinnen das Wechselgeld lieber auf den Ladentisch legten, als dass sie riskierten, meine widerwärtige geöffnete Handfläche zu berühren. In Raleigh hatten mein Freund und ich so viel Arbeit gehabt, wie wir wollten, weil der führende Abbeizer/Neulackierer der Stadt sich gerade aus dem Geschäftsleben zurückgezogen hatte. Dean und ich besuchten ihn gelegentlich, um eine technische Frage zu erörtern, sahen zu, wie seine Frau ihn in den Salon rollte, an den Schläuchen herummachte, die aus seiner Nase kamen, und das nikotinbraune Loch unten an seinem Hals abtupfte. Seine wässrigen Augen wanderten zwischen uns beiden hin und her. «Wenn ihr Jungs eure Karten richtig ausspielt, habt ihr eine prima Karriere vor euch», keuchte er.
    Während meiner ersten Jahre in Chicago hatte ich für einen Mann gearbeitet, der Balkenwerk restaurierte. Das war viel gefährlicher als Möbel, weil man die Chemikalien oft auf Balken streichen musste, die über einem lagen, während man gleichzeitig versuchte, den Vorgängen in Alle meine Kinder und Das ist Ihr Leben! zu folgen. Erst wenn Victoria Buchanan Anstalten machte, aus ihrem Koma zu erwachen, bemerkte ich, dass ein Tropfen Beize gerade ein vierteldollargroßes Stück Bewuchs von meinem Hinterkopf gefressen hatte. Es regnete von der Zimmerdecke, zerstörte Sofas und Teppiche, wir folgten dem Zerstörungswerk und versuchten jämmerlich, das entfärbte Gewebe mit Magic Marker instandzusetzen. Unsere Kunden kamen nach Hause und mussten feststellen, dass die Knöpfe von ihrem Fernseher geätzt waren und dass der Türgriff ihres Kühlschranks aussah, als hätte ihn sich jemand mit dem Schweißbrenner vorgenommen. Wir setzten unseren Zerstörungsfeldzug fort, bis mein Boss, nachdem wir seinen Lieferwagen versehentlich mit einem glimmenden Räucherstäbchen in Brand gesetzt hatten, gezwungen war, Konkurs anzumelden. Wieder einmal schwor ich mir, nie wieder abzubeizen/neuzulackieren.
    Ich antwortete auf das Inserat, rief an und sprach mit einer Frau, die sich als Uta zu erkennen gab. «So ein Zufall», sagte sie. «Gerade eben, vor zehn Minuten, habe ich einen farbigen Typ für den Job angestellt. Sie sagen, Sie sind eingearbeitet? Na, das ist doch ein Plus, oder?»
    Sie hielt inne, und ich ergriff die Gelegenheit, die einzige verkaufsfördernde Tätigkeit auszuüben, die ich beherrschte: die Finger vor der Sprechmuschel flattern lassen und den Fernsprechteilnehmer zu verhexen, indem man lautlos Ich bin’s, den Sie wollen. Ich, ich, ich! skandierte.
    «Wenn ich’s recht bedenke», sagte sie, « ist es aber auch ziemlich viel Arbeit. Vielleicht ist es besser, wenn ich zwei nehme und nicht nur

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