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Nackt

Nackt

Titel: Nackt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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Jahrzehnten en suite.
    «Also, wenn Sie die Wohnung anstreichen, muss ich wohl mal diese müden alten Knochen zusammenreißen und Sie herumführen», sagte die Frau. Sie führte mich durch eine Wohnung, in der jedes Zimmer mit einem Trainingsgerät möbliert war. Ein SkiLanglaufgerät stand neben einer Rudermaschine, beide mit Blick auf den Wohnzimmer-Fernseher. Im Schlafzimmer hatten sie eine Garnitur Hanteln und farbenfrohe Matten, auf denen sie Aerobic treiben konnten. Im Badezimmer waren Badeanzüge zum Trocknen aufgehängt und unten in jedem Kleiderschrank standen säuberlich ausgerichtet alle Arten von Turnschuhen. Außer ein paar Flecken gleich beim Gästezimmer-Punchingbag waren die Wände makellos. Türen und Fußleisten waren in erstklassigem Zustand, ohne Splitter, ohne Kratzer. Sie führten mich unter dem Reck hindurch ins Arbeitszimmer, dessen Wände vom Fußboden bis zur Decke mit Fotos ihrer verschiedenen Abenteuer dekoriert waren. Hier fuhren sie auf einem Tandem durch die Straßen von Peking und dort tauschten sie Perlenketten auf einem staubigen peruanischen Markt. Die Bilder deckten eine Zeitspanne von vierzig Jahren ab, die mit dem Knien in Drachenbooten, dem Aufbauen von Zelten auf schneebedeckten Gipfeln und dem Bezwingen schlammiger Pisten und eisiger Stromschnellen verbracht worden war.
    «Was haben wir denn da?», sagte die Frau. «Methusalem tapert den Mount Tacoma hinauf. Der erste, der den Aufstieg mit einer Gehhilfe geschafft hat.»
    «Und hier ist die Mrs. in Ägypten», sagte ihr Mann und zeigte auf die gerahmte Fotografe einer Mumie.
    Ich wollte das Gespräch wieder auf das Thema Anstreichen bringen, aber davon wollten sie nichts hören.
    «Bleiben Sie doch zum Mittagessen», sagte die Frau. «Ich flansche rasch Herrn Rüstig an seine Schläuche an und mache uns ein paar belegte Brote.»
    «Belegte Brote!», schrie der Mann. «Wie willst du denn mit dem Brot klarkommen? Du kannst doch nichts kauen, was härter ist als Apfelmus.»
    «Sei doch froh …», sagte sie vieldeutig.
    Ich machte einen Kostenvoranschlag und rief am nächsten Tag an, obwohl ich tiefinnerst wusste, dass es Zeitverschwendung war.
    «Es ist unser junger Spund», hörte ich sie ihren Gatten im Hintergrund angehen. «Hör zu, Bubi, wir haben wohl doch entschieden, dass die Wohnung nicht gestrichen wird. Hat nicht viel Sinn, wenn man bedenkt, dass wir ins Altersheim gekarrt werden, bevor Sie Ihre Leiter aufgestellt haben.»
    Es war meine Rolle, ihr zu widersprechen. Stattdessen sagte ich: «Wahrscheinlich haben Sie recht. So wankelmütig, wie Sie bereits sind, ist es, glaube ich, an der Zeit, Pläne für eine strukturierte Umgebung zu machen.»
    «Heda», schnappte sie. «Kein Grund, frech zu werden.» Während episodaler Arbeitslosigkeiten finde ich es lohnend, so viel wie möglich zu schlafen; alles von zwölf bis vierzehn Stunden pro Tag ist ein guter Anfang. Schlaf erspart einem Demütigungen, und gleichzeitig hilft er, Geld zu sparen: nichts essen, nichts kaufen, sich einfach hinlegen und das Leben verträumen. Ich wachte gegen Nachmittag auf, sah mir meine Geschichten im Fernsehen an und begab mich dann zum Sofa, um noch etwas Schlaf zu kriegen. Ich gewöhnte mir an, nach fünf eine Zeitung zu holen und einige Zeit mit den Stellenangeboten zu verbringen. Dabei fragte ich mich, wer für die Posten infrage kam: Food-Bereich (Molk.-Prod.); Just-in-time-Band-Dispatcher; Pre-Press-Vertr.; Techn. Ausw. f. Auditing. Zeigen Sie mir das Kind, das davon träumt, Wurstbräteindarmungsüberwacher/in zu werden. Was für ein Mensch reckt siegessicher die geballte Faust, wenn er liest: «Neues Konzept = Viel $! Top-Energie = Ertrag + Komm. Unterl. faxen.» Unterl. faxen wozu?
    Ich rief einen Quadriplegiker an, der eine Teilzeithilfe suchte. Als es fünfzehnmal geklingelt hatte, ging er ans Telefon und rief: «Um der Liebe Gottes willen, Mutter, kann ein Mann nicht mal fünf Minuten Privatleben haben?»
    Im Supermarkt ließ ich einen Fünfdollarschein fallen, drehte mich um und sah eben noch, wie ihn sich jemand in die Tasche steckte. Es begann sich eine Wende abzuzeichnen.
    «Warum zum Teufel gehst du nicht wieder in die Schule und belegst ein paar richtige Kurse?», fragte mein Vater. «Lern Computer programmieren; das hat der Junge von den Stravides’ auch gemacht. Der war auf dem College und hat Musikalischen Vortrag oder Folklore oder so‘n Quatsch gelernt –, und dann ist er wieder in die Schule gegangen, hat

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