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Nacktes Land

Titel: Nacktes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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karminrot, der Chor der Grillen schwoll immer stärker an, und die erste leichte Abendkühle strich über die Flußlandschaft. Mary ruhte immer noch in dem Wasser und hatte das Gefühl, wie neugeboren zu sein, als sie aus der Ferne jenseits des Flusses Billy-Jo rufen hörte: »… Dillon … Boss Dillon …!«
    Und darauf von noch weiter weg ein langgezogenes angestrengtes Schreien aus Adams' Kehle: »Dillon! … Geben Sie Antwort! Wo sind Sie? Dillon!«
    Mundaru, der Mann des Büffels, hörte es auch – so nah, daß er die Gestalt des rufenden Mannes durch die Grashalme erblicken konnte. Mit einem einzigen Sprung, mit einem einzigen Stoß seines Speeres hätte er ihn für immer zum Schweigen bringen können; doch wie ein erschrecktes Kaninchen blieb Mundaru still im tiefen Gras hocken, bis Mann und Stimme sich wieder entfernt hatten. Der hier war nicht sein Opfer. Den zu töten hätte keinen Sinn. Außerdem war er hungrig und müde von der Suche und von dem langen heftigen Kampf mit Menyan, bis er sie überwältigt hatte.
    Damit hatte er nicht gerechnet: mit ihrer panischen Angst und ihrem verzweifelten Widerstand, als wäre er unrein oder ein Wesen aus dem Reich der Geister. Abwehr, ja; scheinbare Flucht, um dann schließlich doch nachzugeben – das gehörte zum Ritual einer Stammesentführung, wenn eine junge Frau einem alternden Gatten entzogen wurde. Die Frau mußte erst Treue beweisen, bevor sie untreu sein durfte, und der Mann mußte Stärke zeigen, bevor er die Frau eines anderen besitzen durfte.
    Aber Menyans Reaktion war weit darüber hinausgegangen: dem ersten sprachlosen Entsetzen war der hoffnungslose Befreiungskampf eines gefangenen Vogels gefolgt. Er hatte sie am Ende würgen und grausam zusammenschlagen müssen, bevor er von ihr hatte Besitz nehmen können. Erst eine Stunde später, als ein schaler Ekel ihn überkam, ging ihm der Grund für Menyans Ablehnung auf: sie wußte, was er selbst nur vermutet hatte. Der Stamm hatte ihn also verurteilt. Die magischen Zeichen waren gegen ihn gerichtet, der Todessang auf ihn angestimmt worden. Die Todesboten waren schon auf dem Weg zu ihm.
    Jetzt saß er versteckt im mannshohen Gras, lauschte den sich entfernenden Rufen des weißen Mannes und horchte gleichzeitig auf die Geräusche, mit welchen sich die Kadaitjamänner ankündigen würden. Er klammerte sich an seine letzte, verzweifelte Hoffnung: daß er sein eigenes Opfer finden, dessen Leber essen und sich so gegen die Magie der Rächer wappnen könnte. Gelang ihm das nicht, war er verloren – dann konnte er sich gleich hinlegen und auf den Tod warten. Er hatte nicht mehr viel Zeit. Langsam senkte sich die Nacht auf das Land, die er allein verbringen mußte, ohne Feuer, ohne Gesellschaft, auf der Suche nach seinem Opfer. Er umschloß seine Knie mit den Händen, ließ den Kopf vornüber fallen und versank wie ein Tier in einen leichten Schlaf, während ferne Stimmen das Summen der nächtlichen Insekten übertönten.
    »Dillon! … Wo sind Sie? Dillon …!«
    Die Kadaitjamänner hörten die Stimmen ebenfalls und erschauerten, während sie ihre bemalten Gesichter wie Spürhunde nach dem Geräusch umdrehten. Sie verstanden zwar die Worte nicht, wußten aber, was sie bedeuteten: Die weißen Männer suchten ihren verlorenen Bruder. Mochte er tot sein oder lebendig – das machte keinen Unterschied. Doch von denen, die ihn suchten, ging Gefahr aus; sie behinderten möglicherweise ihr Ritual, dessen Durchführung für die Sicherheit des Stammes notwendig war. Fanden die Weißen Mundaru zuerst, würden sie ihn irgendwohin bringen, wo er für die heiligen Speere unerreichbar war. Aber solange sie noch riefen, hatten sie ihn nicht gefunden. Er versteckte sich bestimmt in der Endlosigkeit der Grassteppe, deren Gräser höher waren als der größte Mann. Dem konnte er jetzt nicht entfliehen. Er mußte die Nacht im Sumpf verbringen. In der Dunkelheit war er blind und würde von Geistern verfolgt. Sie selbst fürchteten sich nicht vor der Finsternis, denn sie unterstanden einem mächtigen Zauber, und ein allsehendes Auge saß in ihren kleinen Zehen unter den federgeschmückten Stiefeln.
    Unbeweglich und aufmerksam warteten sie auf das Zeichen ihres Anführers, das ihnen verkünden würde, was sie zu tun hatten. Vor ihnen klang das Rufen noch eine Zeitlang fort und verstummte dann. In der darauffolgenden Stille hörten sie ihr Signal – den Ruf eines Peitschenvogels, einmal, zweimal und noch einmal. Langsam

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