Nacktes Land
den Hut, grüßte zu Mary hinüber und ritt so gelassen davon, als wäre er auf dem Weg zur Viehbeschau. Adams sah ihm nach und übergab dann Mary die Zügel.
»Führen Sie die Pferde, Mary. Ich möchte bei Billy-Jo bleiben. Wir wollen den Spuren nachgehen, solange es noch hell ist.«
»Und nachher?«
Aber da war Adams schon drei Schritt weg und folgte Billy-Jo durch das hohe Gras zum Fluß.
Fünf Meilen weiter waren die Kadaitjamänner in ihren Federstiefeln humpelnd am Flußufer angekommen und verteilten sich in der Niederung; die Jagd auf Mundaru konnte beginnen. Sie hatten wohl Schmerzen, doch der Schmerz war eine ständige Mahnung an ihre heilige Aufgabe. Mehr noch: Die verbrannten und verrenkten Zehen waren zu magischen Augen geworden und zeigten ihren Schritten den Weg zu ihrem Opfer. Sie wandelten in zwei Welten. Eine übernatürliche Macht hatte von ihnen Besitz ergriffen, und zugleich waren sie nichts als Jäger, die die Grundregeln der Jagd befolgten: Vorsicht, Deckung, Berechnung.
Ihre Überlegung war einfach und logisch. Lebte der weiße Mann noch, dann mußte er den Schutz des weitläufigen Sumpfgebietes ausnutzen. War er tot, dann müßte Mundaru zuerst die Leiche verstecken und sich dann in den gleichen Sümpfen verbergen. Er würde es nicht wagen, bei Tageslicht das freie Land zu betreten.
Für sie gab es keinen Zweifel, daß Mundaru von dem Urteil wußte, das über ihn gefällt worden war. Es gehörte zur Macht der magischen Beschwörung, daß ihr Opfer lange vor dem Augenblick der Exekution davon ahnte und sie in seinem Körper fühlte. Von solcher Erkenntnis geschwächt und verunsichert, wurde das Beschworene eine nur um so leichteren Beute. Darüber hinaus wußten sie, daß die weißen Männer unterwegs waren. Sie hatten das Flugzeug gesehen und die Staubwolken bemerkt, die von den Hufen der Pferde aufgewirbelt worden waren. Sie schätzten – und das zu Recht –, daß die weißen Männer den Spuren vom Tal bis zum Fluß folgen und Mundaru schließlich stromabwärts geradewegs in ihre heiligen Speere treiben würden.
Die speertragenden Männer konnten sich gegenseitig nicht sehen und waren über eine halbe Meile im Gelände verstreut, aber sie hielten sehr guten Kontakt untereinander. Sie verständigten sich mit nachgeahmten Tierlauten: mit dem heiseren Ruf eines Kakadus, dem Schrei einer Sumpfgans, dem dumpf hallenden Schwanzklopfen eines Känguruhs, dem hohen Pfiff eines Peitschenvogels. Die Geräusche wiederholten sich nie in der gleichen Reihenfolge und kamen nie aus der gleichen Richtung, so daß auch der wachsamste Beobachter ihren Ursprung nicht ahnen konnte.
Am Ende würde Mundaru sie zwar auch vernehmen und ihren Sinn verstehen, doch dann wäre es bereits zu spät. Die Kadaitjamänner würden ihn immer enger umkreisen, die Stimmen würden zu einem langen bedrohlichen Schweigen verstummen, und aus diesem Schweigen würde dann das donnernde Gebrüll eines Bullen ertönen – das wurde mit dem Tjuringa, dem geheimnisvollen durchlöcherten Stück Holz oder Stein, vollführt. Denn wirbelte man das Tjuringa durch die Luft, röhrte es tief und laut. Das würde der Todesgesang für Mundaru sein, und noch bevor das Echo verklungen war, würde er, von einem heiligen Speer durchbohrt, fallen.
Noch war es nicht soweit. Das Geschehen war zwar im voraus bestimmt, doch es war nicht unabwendbar. Noch hing alles von der Geschicklichkeit der Jäger ab und davon, wie jeder einzelne von der ihm verliehenen Macht Gebrauch machte. Gemeinsam rückten sie gegen ihr Opfer vor, lautlos und jeden Nerv gespannt.
6
Der Fluß bewegte sich träge und von zitternden Schatten überspielt in der untergehenden Sonne. Sein Murmeln bildete einen flüsternden Kontrast zu den rauschenden Palmblättern und dem steten Summen der Insekten.
Sie kamen zu Fuß herunter. Die Pferde hatten sie am Rand der Böschung festgemacht zurückgelassen, und während Billy-Jo das sandige Ufer erkundete, beobachteten Neil Adams und Mary Dillon das Spiel der Schatten und den Flug eines glänzenden Eisvogels über dem Wasser. Die Erschöpfung von dem langen Ritt saß ihnen in den Knochen, und je mehr sich der Tag neigte, desto hoffnungsloser fühlte sich Mary. Ihr Gesicht war müde und staubbedeckt. Die Augen brannten ihr von der blendenden Helle. Jeder Muskel ihres Körpers schmerzte von dem langen ungewohnten Ritt. Auch Adams war erschöpft, das verrieten ihr die tiefen Falten um seinen Mund, seine hängenden Schultern und die
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