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Nacktes Land

Titel: Nacktes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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Windstille erkannten sie als Zeichen, daß Willinjas Zauberkraft mit ihnen war. Als der Mond ganz hoch stand, rief der Mann mit der Stimme des Peitschenvogels sie zu sich heran, und sie trafen alle bei ihm zusammen, obwohl er ihren Blicken verborgen blieb. Als sie schließlich vollzählig waren, mußten sie ihn auf ihre Schultern nehmen, wo er dunkel und mächtig gegen den Himmel ragte wie ein Mann, der über das mondhelle Meer wandelte.
    So blieb er lange Zeit. Sein bemalter Körper war vom Licht umflossen. Dann teilte er das Grasland mit seinem heiligen Speer in vier Bereiche auf und prüfte jedes Viertel mit seinen Augen, die der Zauberspruch noch scharfsichtiger gemacht hatte.
    Die ganze Landschaft war in silbernes Licht getaucht. Der Sumpf schimmerte wie Eis; die Baumstämme standen wie graue Wachtposten gegen den Himmel, und ihr Laubwerk hing bewegungslos zwischen den Sternen. Das Gras erstreckte sich wie ein unberührter Teppich vom Fluß bis zum See und noch weiter bis hin zu den dunklen Hügeln.
    Kein Vogel sang. Kein Tier rührte sich. Nur die Stimmen der Frösche und der Grillen vereinigten sich zu einem mystischen Chor, hin und wieder untermalt von dem entfernten Aufheulen eines Dingos oder dem verhaltenen Schrei eines Mopoke. Der Kadaitjamann wartete und beobachtete, während seine Gefährten ächzten und sich unter seinen gefederten Füßen gegenseitig stützten.
    Endlich geschah, was er erwartet hatte. Eine halbe Meile entfernt bewegte sich das Gras, wie von einem leichten Windhauch gebeugt, oder als ob ein Tier durch das Gebüsch strich. Doch der Kadaitjamann wußte, dieses Tier war ein Mann, mit Namen Mundaru. Er wußte noch mehr: der Zauber Willinjas trieb den Mann des Büffels auf einen geweihten Ort zu, wo die Tjuringasteine in einer Höhle am Fuß eines Flaschenbaumes versteckt waren und wo bemalte Pfähle den von Blättern verdeckten Eingang bewachten.
    Bevor Mundaru dort anlangte, mußten sie ihn ergreifen. Wenn die heilige Schlange dann in seinen Körper gesetzt worden war, würden sie ihn auf die Höhle zustoßen, so daß er im Schatten jener Macht sterben mußte, welche er mißachtet hatte.
    Es war soweit. Es war Zeit, aufzubrechen. Die Männer ließen ihren Anführer wieder ins dichte Gras herab, und er bedeutete ihnen, wohin sie gehen mußten und wie rasch, damit sie beim ersten Strahl der aufgehenden Sonne auf Mundaru stießen.
    Irgendwann am frühen Morgen erwachte Lance Dillon, verkrampft, zitternd und mit großen Schmerzen, doch zum erstenmal seit vielen Stunden war er bei klarem Bewußtsein. Der Ort, an dem er sich befand, war ihm fremd. Auf dem steinigen holprigen Boden wuchsen kleine harte Grasbüschel. Wenn er seinen Kopf mühsam von einer Seite zur anderen drehte, konnte er die weißen skelettartigen Schattenrisse verkrüppelter Korkeichen unter dem verblassenden Mondlicht erkennen. Vor ihm erhob sich ein bewachsener Kalksteinhügel, an dessen Fuß eine dichte Baumgruppe stand. Als Dillon zurückzuschauen versuchte, um festzustellen, wie weit er sich vom Grasland entfernt hatte, schoß ein heftiger Schmerz durch seine Schulter, und er legte sich flach auf den rauhen Boden, bis er sich wieder erholt hatte.
    Es war ihm genau bewußt, daß die Klarheit seiner Sinne nur vorübergehend war; das Fieber war im Augenblick von ihm gewichen, aber es würde wiederkehren. Das mußte er ausnützen, solange es möglich war. Im bleichen Mondschimmer erkannte er, daß er sich weit vom Fluß entfernt hatte und daß damit seine letzte Hoffnung auf Errettung dahingeschwunden war. Er mußte sich jetzt nur noch auf einen möglichst angenehmen Tod vorbereiten.
    In den letzten Jahren hatte er sich oft die Frage gestellt: Was würde ich tun, wenn ich dies und jenes verlöre – meine Hoffnung, mein Ziel, meine Frau? Wie würde ich reagieren, wenn mir morgen ein Arzt sagte, daß ich noch sechs Monate, sechs Wochen, eine Woche zu leben hätte? Jetzt, in diesem kurzen Moment der Klarheit, wußte er die Antwort. Am schwersten waren Schmerz, Verfall und Tod zu ertragen. Bevor man soweit war, sich damit abzufinden, quälte man sich in durchwachten Nächten mit Gedanken an Geld und Überziehungskredite, an Bankdirektoren und an die schlauen Gesichter der ewigen Besserwisser in den Kneipen, die einem alles über einen Bankrott sagen konnten, nur das nicht, wie ein unschuldiges Opfer damit fertigwerden sollte.
    Dann waren da die bitteren Tage, an denen man zu stolz gewesen war, um einen Kuß oder ein Wort des

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