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Nacktes Land

Titel: Nacktes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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Fessel an sich gedrückt.
    Schlaftrunkenheit umfing sie noch, und wohlig überließ sie sich seiner tröstlichen Gegenwart. Sie hatte drei Jahre lang mit Lance Dillon in einem Ehebett geschlafen, aber sie konnte sich nicht erinnern, wann sie mit ihm das letzte Mal so gelegen hatte, entspannt, zufrieden, die schlummernde Leidenschaft in spürbarer Nähe. Es war schon eine bittere Komödie, daß durch einen Tagesritt und zehn Minuten Panik sie und Adams sich so nahe gekommen waren, während drei Ehejahre sie und ihren Mann meilenweit voneinander entfernt hatten.
    Bei wem lag die Schuld – bei Lance oder bei ihr? Und wer trug die Schuld an diesem Augenblick gefährlichen Beieinanders, da sie sich die Decke mit einem Mann teilte, der nicht ihr Gatte war? Die Liebe, mit der sie ihre Ehe begonnen hatte, war im Lauf der Zeit unter den aufreibenden Umständen erbärmlich verkümmert. Was sie zu Neil Adams hinzog, war etwas Neues und Starkes, das sie kaum mit Namen nennen und noch weniger von sich wegschieben konnte, was es auch sein mochte. Gewiß, die Situation, in der sie sich befand, war zum Teil ihre Schuld, doch mehr noch hatten Zufall und ein unabwendbares Schicksal dazu beigetragen. Doch wie auch immer, abermals mußte Mary sich die Frage stellen: Wohin sollte das führen?
    Neil Adams bewegte sich und murmelte im Schlaf; sein Arm glitt von ihrem Bauch. Vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, setzte sie sich auf und schaute sich um. Der mondbeschienene Fluß plätscherte sanft durch die Nacht; von Schatten unterbrochen, glänzten der Sand und die Felsen silbern gegen den Himmel, und fünfzig Meter weiter stand Billy-Jo wie eine schwarze Schildwache und starrte über den Fluß zu dem unsichtbaren Chor der Ochsenfrösche hinüber.
    Zum ersten Mal zeigte sich ihr das andere Gesicht des verhaßten Landes – nicht feindselig, nur unbeteiligt, nicht unwirtlich, nur leer und nach der Hand dürstend, die es fruchtbar machte. So mußte Lance es gesehen haben, und das war es wohl, wovon er sie vergeblich zu überzeugen versucht hatte. Im ersten Feuer dieser Erkenntnis glaubte sie aufstehen und allein in die unermeßliche Weite hinauswandern zu können, ohne Furcht vor Menschen, Vögeln oder Tieren.
    Lance hatte ihr immer wieder eindringlich erklärt, daß es im Territorium keine wilden Raubtiere gab und daß auch die Eingeborenen in Ordnung und Frieden lebten, solange ihre Sitten und Gewohnheiten respektiert wurden.
    Diese freundlichen Gedanken wichen sehr bald der Ernüchterung, als Mary sich erinnerte, daß kaum eine Meile von ihr entfernt sich ein Drama mit Mord und Verfolgung abspielte, bei dem ihr eigener Mann eines der Opfer war. Wie um diese ergreifende Vorstellung zu unterstreichen, ertönte von weither aus westlicher Richtung das langgezogene Klagegeheul eines Dingos. Aus dem Osten antwortete ein zweiter, dann noch einer und noch einer, bis die Nacht von einem düsteren Grabgesang erfüllt war.
    Mary schauderte und kroch wieder unter die Decke. Im gleichen Augenblick öffnete Adams die Augen. Ihre Gesichter streiften sich. Seine Arme schlossen sich um sie, und das Klagen der Wildnis verstummte unter seinen flüsternden Worten.

8
    Es ist nicht jedem Menschen vergönnt, das Innere seiner eigenen Grabkammer besichtigen zu können, bevor er sie nach seinem Tod bezieht. Lance Dillon empfand geradezu eine gewisse Dankbarkeit für diese Gnade. Er besichtigte das Grab aus eben der Position, die er am Ende einnehmen würde – in flacher Rückenlage auf sandigem Grund, von schummrigem Dämmerlicht umgeben. Nur ein einzelner Mondstrahl fiel schräg durch die Luke herab, durch die Dillon gestürzt war.
    Die Öffnung befand sich hoch über ihm, und er stellte sich die unsinnige Frage, wie er wohl ausgesehen hatte, als er hier heruntergefallen war. Als seine Augen sich an das Halbdunkel gewöhnt hatten, entdeckte er, daß er über eine lange schräge Sandbahn heruntergerollt sein mußte. Versuchsweise bewegte er Glieder, Kopf und Rumpf. Sie schmerzten zwar, funktionierten aber normal. Seine Knochen waren heil und sein Verstand war klar geblieben – welch ungewöhnlicher Triumph für einen Menschen, der in seinem eigenen Grab ruhte!
    Trockene, warme und klare Luft umgab ihn, jedoch mit einem schwachen Modergeruch durchsetzt, den er sich nicht erklären konnte, bis sein Blick auf die Fledermäuse traf, die von den ausgehöhlten Kalksteinen über ihm herabhingen. Eine oder zwei, von dem Eindringling aufgestört, flatterten mit

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