Nadel, Faden, Hackebeil
und die Nassauer
Fassungslos stand Siggi Seifferheld vor dem Bild links neben dem Eingang zum Wintergarten. Ein roter Punkt klebte daneben. Das war von nun an sein Bild. Der Preis, wiewohl exorbitant, schreckte ihn weniger als das Bild selbst. Ein brauner Klecks, der eindeutig so aussah wie …
… Dünnschiss? Erbrochenes? Eine pürierte Moorleiche in einer Neumondnacht?
»Eine gute Wahl!«, lobte Konzi von Bellingen und schlug Seifferheld auf die Schulter.
Seifferheld hatte das deutliche Gefühl, dass ihm bei diesem Schlag olfaktorische Giftwolken vom Anzug waberten.
Im Gegensatz zu Konzi, der einen flotten zimtfarbenen Leinenanzug mit hellblauem Krawattenschal trug, steckte Seifferheld immer noch in seinem einzigen guten Anzug, den er auf dem Weg zur Trauerfeier ordentlich eingeschwitzt hatte und der dank des Wunderkerzenfreudenfeuers des kleinen Mozes nun auch noch nach Rauch roch – und, weil Seifferheld die Gerüche hatte übertünchen wollen, nach jeder Menge Sir Irish Moos.
Es war der Abend der Vernissage.
»Liebe Freunde«, rief Konzi nun in die Menge, »hier steht mein guter Gönner und Sammler, Siegfried Seifferheld!« Konzi rief das sehr laut, falls sich irgendwo unter den Anwesenden ein Galeriebesitzer versteckt haben sollte.
Die Ausbeute an Interessenten anlässlich seiner Vernissage im Hällisch-Fränkischen Museum war erklecklich, was zum Teil daran lag, dass die Veranstaltung im Tagesterminkalender des
Haller Tagblatts
als Tipp des Tages angekündigt worden war. Mit Bild. Von Konzi, nicht von einem seiner Werke. Sonst hätten sich womöglich nicht einmal die üblichen Verdächtigen eingefunden.
Zusätzlich waren aber auch ein paar von den Reichen und Schönen der Stadt aufgetaucht. Und all diejenigen, die sich immer einfanden, wenn ein Blaublütler öffentlich auftrat. Und natürlich noch all die Blutrünstigen, die scharf darauf waren, den Hinterbliebenen einer Mordtat live und in Farbe und von ganz nah zu sehen.
Die Anwesenden nickten zur launigen Begrüßungsrede des Museumsleiters und ließen anschließend den Einführungsvortrag einer extra aus Karlsruhe eingeflogenen Kunstkritikerin über sich ergehen, die in vierzig sich endlos ziehenden Minuten vom Spannungsfeld zwischen Selbstreferentialität und Poststrukturalismus des jungen Künstlers Konstantin von Bellingen sprach, der in seinen Werken eine optische Interferenz schaffe, die das Positionelle der Ölmalerei des 21 . Jahrhunderts noch längst nicht in allen Anspielungen interpretieren und erschließen ließ.
Möglicherweise waren ihr mittig die Seiten ihres Vortrags durcheinandergeraten, aber das merkte keiner. Mehrheitlich lauschten die Anwesenden nämlich nur deshalb mit halbem Ohr und geschlossenen Augen, weil es im Anschluss – wie immer bei HFM -Vernissagen – kostenlosen Weißwein und kleine Partyhäppchen gab. Hätte Konzi die Weitsicht besessen, einem der beiden großen Künstlervereine der Stadt beizutreten, wären womöglich noch ein paar Vereinsmitglieder vorbeigekommen, die sich tatsächlich für Kunst interessierten.
»Mein Gönner und Sammler«, rief Konzi noch einmal, einen Tick lauter, damit auch die Häppchenmampfer über das Knirschen der Salzstangen in ihrem Mund hinweg es hören konnten.
Seifferheld murmelte »Ich hole mir noch etwas Wein« und humpelte zum Tisch mit den Getränken.
Konzi nahm neben einem besonders scheußlichen Bild in Eitergrün Aufstellung und lächelte den wenigen Versprengten, die sich tatsächlich auch die Bilder der Ausstellung ansehen wollten, nach Gutsherrenart zu.
Am Tisch mit den Häppchen entdeckte Seifferheld seine MaC.
»Marianne!« Er stellte sich neben sie, konnte sich nur unter größter Kraftanstrengung davon abhalten, sie in seine Arme zu reißen.
MaC sah ihn kühl an. »Siegfried.«
»Jetzt lass es dir doch bitte erklären!«, verlangte er.
»Du bist ein freier Mann und kannst tun und lassen, was du willst«, klirrte MaC und schob sich ein winziges Baguetteschiffchen mit Lachs und einer Olive in den Mund. Die Kollegin aus der Redaktion, mit der Marianne sich unterhalten hatte, zog sich diskret zurück.
»Marianne, jetzt bist du aber unfair, das war wirklich nur …«
Sie kaute und starrte die Wand an.
Zwei grauhaarige Frauen in Filz-Outfits – die aus irgendeinem Grund in Hall für überreife Frauen gerade total angesagt waren – rückten etwas näher, um ja nichts zu verpassen.
»Marianne, ich habe mir nur Informationen über … du weißt
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