Nadel, Faden, Hackebeil
sechzig Jahren noch alleinstehend war. Wobei sie sich die Frage nach einer Änderung dieses Zustands nur die ersten dreißig Jahre stellte, später lief einfach alles in festen Gleisen. Nun, jetzt würde sich das ändern.
Bevor die Aufzugtüren sich öffneten, holte sie noch einmal tief Luft. Und knöpfte den Popelinemantel auf.
Jetzt hätte es eigentlich einen Tusch geben müssen: Wo sie bislang immer ein Ensemble aus Twinset und Tweedrock in gedeckten Farben getragen hatte – im Sommer allenfalls einmal einen hellen Leinenrock und eine weiße Baumwollbluse –, trug sie nun ein seidiges, knielanges Kleid in gewagter Schlangenoptik von Marccain. Dazu Schuhe mit Absätzen. Bei Breuninger hatte sie sich eben noch schnell schminken lassen, und der lange eisengraue Zopf war bei Les Coiffeurs im 4 . Obergeschoss des Mittelbaus einem flotten Kurzhaarschnitt gewichen.
Als sie das Café betrat, wanderten alle Augen zu ihr.
Irmi lächelte. So gut – so schön! – hatte sie sich in ihrem ganzen Leben noch nicht gefühlt.
Ihr Leben würde sich nun ändern, das spürte sie mit jeder Faser ihres Seins.
Sie suchte mit Blicken die Tische ab.
Eine Rucksacktouristengruppe, ein Kellner, zwei hochschwangere Frauen, eine asiatische Familie mit Hund, eine Kellnerin, drei VfB-Anhänger, eine junge Frau, die im
Playboy
blätterte. Kein distinguierter Herr mit einer Rose in der Hand.
Da ging die Tür zum Treppenhaus auf.
Irmi sah erst nur das Hosenbein. Dunkelgraues Flanell zu schwarzen Budapestern.
Dann tauchte die Hand mit der roten Rose auf. Eine gute, kräftige Hand.
Und dann sah sie das Gesicht des Mannes, mit dem sie sich über den Online-Datingdienst hier verabredet hatte. Anonym, weil beide es so wollten. Noch nichts Konkretes, Bindendes, mit Namen und Anschrift. Nur die Begegnung zweier suchender Herzen.
Das Gesicht war länglich. Es war ein markantes Gesicht, mit Lachfältchen um die Augen.
Es war das Gesicht von Pfarrer Hölderlein aus Schwäbisch Hall!
19 : 24 Uhr
Ein Optimist ist jemand, der mit einem
Cocktailshaker in der Hand auf ein Erdbeben wartet.
Danny Kaye
»Sie sind ja süß – Optimistin bis zum Schluss, wie?« Der diensthabende Beamte lächelte und schob Karina ein Blatt Papier hin, das aussah, als habe es vor noch gar nicht so langer Zeit einen Wellensittichkäfig ausgekleidet. »Hier bitte, unterschreiben Sie Ihre Aussage.«
Karina blickte unglücklich drein. »Aber es ist doch gar nichts weiter passiert. Seine Eltern müssen es wirklich nicht erfahren. Ich denke dabei nur an den Steuerzahler – so eine telefonische Verbindung nach Afrika ist doch irrsinnig teuer.«
Mozes, um den es ging, war nach all der Aufregung um den Polizeieinsatz, den er ausgelöst hatte, selig auf dem Besuchersessel des Reviers eingeschlafen, während Karina ihre Aussage zu Protokoll gab. Vermutlich würde von einer Anzeige abgesehen, aber sicher war das nicht.
Die Kollegin des Beamten versuchte gerade, eine Verbindung zu den Eltern von Mozes herzustellen. Das Gespräch mit der deutschen Botschaft war schon zweimal aus heiterem Himmel abgebrochen.
Karina hatte ihrerseits versucht, Fela zu erreichen, aber der ging nicht an sein Handy.
Polizeiobermeister Viehoff hatte sich als Niete entpuppt. Anstatt ihr in dieser misslichen Lage beizustehen, ihr die Hand zu halten und seine Kollegen zu bestechen, hatte er nur laut gelacht, als die beiden Streifenwagen mit qualmenden Reifen vor der Johanniterhalle zum Stehen kamen, und gerufen: »Bei euch ist echt immer was los, oder?« Dann hatte er sich mit der schalen Ausrede, er müsse jetzt zum Dienst, einfach verabschiedet.
»Hallo, Herr Nneka? Ja, hier noch mal Schulze-Semmeling«, rief da die Polizistin am Nebenschreibtisch. »Wir haben Ihren Sohn in Gewahrsam. Wie? … Nein, nicht Fela Nneka. Mozes Nneka. Genau. Ich wollte nur sicherstellen, dass Sie die Frau in seiner Begleitung, eine gewisse Karina Seifferheld, kennen …«
Karina seufzte.
Die Nnekas waren sehr spießig und bieder. Fela hatte ihnen noch nicht gebeichtet, dass er eine Freundin hatte, die wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses schon mehrmals festgenommen worden war.
Das konnte jetzt heiter werden.
Was stand auf Kindesentführung?
20 : 30 Uhr
Legenden der Kochkunst –
Heute: Die Teufelspastete der Terrinentiger
Die Schulküche der Volkshochschule stand ihnen aus versicherungsrechtlichen Gründen ohne Dozent nicht zur Verfügung, darum trafen sie sich zum großen Probekochen in
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