Nadel, Faden, Hackebeil
wäre ihm wohler gewesen, aber es durften keine Hundespuren und auch keine Hundehaare zurückgelassen werden. Man wusste ja nie.
Seifferheld schritt männlich aus. Nun ja, er humpelte männlich. Er fühlte sich so jung und so lebendig wie lange nicht mehr. Selbstverständlich war ihm vom Kopf her klar, dass das, was er hier machte, nicht nur ungesetzlich, sondern auch dumm war. Aber er ging auf die sechzig zu, ein Alter, in dem man von der Gesellschaft abgeschrieben wurde. Männer seines Jahrgangs machten im Fernsehen Werbung für Treppenlifte und Gebisscreme. Doch so sah er sich nicht. Er gehörte längst noch nicht zum alten Eisen. Er stand noch mitten im Leben, konnte noch alles angehen – und, wenn er wollte, auch noch jede Dummheit begehen. Gut, er war älter geworden. Aber er war noch nicht
zu
alt.
Kieselsteine knirschten unter seinen handgenähten Komfortschuhmokassins aus Elchleder. Und dann stand er auch schon vor Dr.Arnfried Kolbs Wochenendhaus. Ein eingeschossiges Prestigeobjekt.
Es war zugegebenermaßen ein exorbitant schönes Wochenenddomizil, das auch Seifferheld gefallen hätte. Gerade groß genug für einen Mann und seine Freundin und seinen Hund. Wobei Seifferheld trotz aller Recherche nicht hatte herausfinden können, ob Kolb eine Freundin hatte. Oder einen Freund. Der Mann wirkte nicht nur asexuell, er war es offenbar auch.
Überwachungskameras waren nicht zu sehen, aber das Haus selbst war eine kleine Festung: Gitter vor den Fenstern, verstärkte Türen, Sicherheitsschlösser. Doch Seifferheld ließ sich nicht so einfach entmutigen. Mit Kennerblick umrundete er die Hütte.
An die Rückseite war eine Garage angebaut. Das Garagentor erwies sich als Schwachstelle im Sicherheitskonzept. Wer jahrzehntelang Verbrechensprävention unterrichtet hat, für den war die Verbrechensbegehung nicht wirklich ein Problem.
Schwupps,
hatte sich Seifferheld widerrechtlich Zutritt verschafft.
Von der Garage kam er mühelos durch die Verbindungstür in die kleine Küche des Hauses.
Es sah erstaunlich aufgeräumt aus, wenn man bedachte, dass es sich um das Wochenendhaus eines Junggesellen handelte. Spärlichst, aber edel möbliert, viel Chrom und Marmor, Bilder angesagter zeitgenössischer Künstler, kein Nippes, bis auf eine Hartplastik-Miniatur des Diakoniekrankenhauses. Und alles makellos sauber. So sauber, dass man problemlos auf dem Boden hätte operieren können.
Was Kolb allem Anschein nach auch getan hatte. Nein, er hatte nicht auf dem Küchenboden operiert, aber im Hauptraum des Wochenendhauses fand Seifferheld einen Behandlungsstuhl, diverses Arztbesteck und genügend Botox, um bei Bedarf ganz Hohenlohe ein Jahr lang lahmzulegen.
Da schau an, dachte Seifferheld, der Kolb faceliftet schwarz.
17 : 00 Uhr
Wer einen Sack Flöhe hütet, darf sich nicht wundern,
wenn’s irgendwann zu jucken anfängt.
Karina lebte nicht absichtlich so, wie sie lebte. Es passierte ihr einfach. Sie war nicht auf Krawall gebürstet, sondern wollte im Grunde nichts als Liebe und Schönheit verbreiten und für das Gute eintreten. Es ergab sich schlicht und ergreifend nur immer so, dass sie dabei irgendwie mit dem Gesetz in Konflikt geriet. Oder zumindest mit dem, was das Gros der Menschheit für Anstand und Würde hielt. Aber im Kern war sie ein guter Mensch. Zumindest redete sie sich das ein.
Darum bot sie an diesem Nachmittag auch an, auf den kleinen Mozes aufzupassen. Noch so eine missverstandene Kreatur. Er hatte das mit den Wunderkerzen doch nicht aus böser Mutwilligkeit getan. Und auch die Rohrverstopfungsepisode war nichts weiter als die Folge hehrer Absichten.
Zwei wie sie mussten zusammenhalten.
Außerdem hatte sie bei Fela Wiedergutmachung zu leisten. Wiewohl er sich schon ein wenig arg spießig anstellte: Nur weil sie mit anderen Jungs flirtete, ging ihm doch noch lange nichts ab. Schließlich trug sie ausschließlich
sein
Freundschaftsarmband.
Erst stylte Karina sich und den Kleinen auf. So viel zum Thema Schönheit. Mozes war als Erster an der Reihe. Über seine übliche ausgewaschene Kinder-Jeans zog sie ihm ihre alten Micky-Maus-Boxershorts, die sich in der Taille eng zusammenbinden ließen. Darüber ein schwarzes T-Shirt mit Micky-Maus-Konterfei auf der Brust und auf dem Rücken, das ebenfalls in der Taille verknotet wurde. Und als letzter Knoten kam eines ihrer weißen Leinentaschentücher um seinen Hals. Allein eine Stunde lang beschäftigte sie sich mit seinem Afro, den sie mit viel Gel und
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