Nadel, Faden, Hackebeil
Kolb während der Woche in einer kleinen Mansarde auf dem weitläufigen Klinikgelände wohnte, doch seine Wochenenden ausnahmslos in seinem Wochenendhaus verbrachte, zum Auftanken der kostbaren Chirurgenbatterien.
Seifferheld wähnte sich bei diesem Spontanausflug zu Kolbs Wochenenddomizil in Sicherheit. Zum einen, weil heute nicht Samstag war. Zum anderen, weil das Diakoniekrankenhaus seit geraumer Zeit eine Vortragsreihe in der säkularisierten Hospitalkirche veranstaltete. Die Fachärzte des Krankenhauses hielten in regelmäßigen Abständen reihum Dia-Vorträge zu ihren Spezialthemen, und im Anschluss gab es ein Häppchenbuffet und die Möglichkeit, den Arzt mit Fragen zu löchern. Alles kostenlos. Völlig ohne Praxisgebühr. Und an diesem Nachmittag lautete das Thema »Straffer Busen – fester Po« mit Dr.med. Arnfried Kolb.
Kolb war also beschäftigt. Und Seifferheld hatte Fela, der während des Vortrags sowieso Fotos für das
Haller Tagblatt
schießen musste, aufgetragen, ihn sofort über Handy zu verständigen, sollte die Veranstaltung früher beendet werden, weil beispielsweise die Hospitalkirche in sich zusammenbrach – wie man es seit Beginn der Bauarbeiten am Kocherquartier aufgrund enormer Stuckabbröckelungen und Rissen in den Wänden eigentlich sekündlich befürchten musste.
So bretterten sie jetzt also zu dritt in den Mainhardter Wald.
Onis, der den breiten BMW von Susanne gewohnt war, wo er wie ein Generaldirektor auf dem Rücksitz zu thronen pflegte, musste sich wie eine Sardine auf den eigentlich nicht existenten Rücksitz des koreanischen Kleinwagens von Olaf quetschen. Sein Leben ohne den Teddy war ohnehin die Hölle, und jetzt auch noch das. Er war in diesem Moment kein glücklicher Hund. Er war sogar ein unglücklicher Hund. Im Geiste formulierte er bereits einen Missbrauchsbeschwerdebrief an Animals International.
Olaf, der Wagenhalter, war auch nicht gerade glücklich. »Wissen Sie, Herr Seifferheld, ich habe kein gutes Gefühl dabei …«
Seifferheld auch nicht. Doch darum ging es nicht. Es ging darum, zwei furchtbare Morde aufzuklären. Es ging darum, dass alles besser war, als zu Hause zu sitzen und Kochbücher zu wälzen, um das ultimative Salatrezept für das Amateurwettkochen zu finden.
»Olaf, Sie fahren nur den Fluchtwagen. Kein Grund, den Schwanz einzuziehen.«
Das Wochenendhaus von Kolb erwies sich als schwer zu finden. Das Navigationsgerät war keine Hilfe. Rechthaberisch behauptete es mehrmals »Sie haben Ihr Ziel erreicht« und ließ diesbezüglich auch nicht mit sich diskutieren, aber jedes Mal war da nichts weiter als Wald, grüner Wald.
Schließlich mussten sie die Strumpfmasken vom Kopf ziehen und einen zufällig auf einem Traktor vorbeikommenden Bauern um Hilfe bitten. Während Olaf so tat, als suche er etwas im Fußraum, ließ sich Seifferheld durch die heruntergekurbelte Beifahrerscheibe Instruktionen geben.
Und dann standen sie zu guter Letzt vor dem edlen Holzhaus im Stil von Frank Lloyd Wright, gar nicht weit weg vom Limes-Lehrpfad.
»Strumpfmaske wieder überziehen«, befahl Seifferheld. Sie hatten im Kaufhaus Woha fleischfarbene Damenstrapsstrümpfe erstanden. Schweineteure Markenstrümpfe von Joop beziehungsweise Wolford, damit die Kassiererin an der Kasse nicht dachte, sie würden ihren jeweiligen Freundinnen nur billiges Zeug schenken.
»Ich denke, ich darf im Wagen bleiben«, moserte Olaf, als Seifferheld ihn aussteigen hieß.
»Onis bleibt im Wagen.
Sie
sichern mir den Rücken.«
»Womit denn? Mit meinen filigranen Masseurhänden?«
Seifferheld ging darauf nicht näher ein. Olaf war Pferdeschwanz- und Freundschaftsarmbandträger, von so einem konnte man bei strafrechtlich grenzwertigen Unternehmungen keinen Mumm erwarten.
»Also gut, Olaf. Sie bleiben hier neben der Pforte stehen, und wenn sich jemand nähert, dann gehen Sie in Deckung und geben unauffällig Bescheid. Verstanden?«
»Ich kann aber keine Tierlaute nachahmen. Ich bin ein Stadtkind.«
Seifferheld stupste ihn gegen seine Hemdtasche, dort, wo sich sein Handy ausbeulte. »Stadtkinder können alternativ meine Handynummer als Kurzwahl einprogrammieren und gegebenenfalls kurz durchläuten.«
Das Letzte, was Seifferheld von Olaf sah, bevor er um eine Biegung der Hecke um Kolbs Wochenendhaus schritt, war die gebeugte, hagere Gestalt des Masseurs, mit dicker Laufmasche in der Strumpfmaske, wie er mit zitternden Fingern auf die Tasten seines Handys klopfte. Mit Onis als Rückendeckung
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